Der König Von Korsika
Verschönerung, Verkleidung und Verwandlung der Körper verwandt. Theodor war regelmäßig zugegen, wenn Madame am Vormittag, bevor sie ihren Sohn zu einer fünfminütigen entrevue empfing, hergerichtet wurde. Was ihm zunächst in jugendlicher Unduldsamkeit lächerlich und absurd vorkam, fing nach einiger Zeit an, ihn zu beeindrucken. Soviel Ausdauer und Mühe, so viele Cremes, Essenzen, Parfumflaschen, Batisttücher, so viele Hände des Perückenmachers, Coiffeurs, der Schneiderin, der Zofen, soviel Verschleierung – die Haut wurde weiß grundiert, die Schönheitsflecke mehrmals versetzt, die geschwollenen Knöchel bandagiert,
um in die Schnürstiefeletten eingeführt werden zu können, die hellbraunen Altersflecken auf den Händen überschminkt, die Garderobe der Jahreszeit, dem Wochentag, der Stunde, der Sonneneinstrahlung, der Tapete des zum Gespräch bestimmten Raums angepaßt – soviel Aufwand, um aus einer häßlichen alten Frau, ja, was zu machen? Eine immer noch häßliche alte Frau, aber eine, die aus Höflichkeit oder Eitelkeit mit allen Mitteln gegen diese Zumutung der Tatsachen anging.
Manchmal, wenn er stundenlang zugesehen und assistiert hatte, schien es Theodor, als sei der Schein, der häßliche Schein, das Werk der Natur, und alle menschliche Mühe diene dazu, den Schleier dieses Scheins fortzureißen und die höhere Wahrheit des Gewünschten ans Licht zu ziehen. Denn bestand nicht eine direkte Verbindung zwischen den Retuschen, die an Madame vorgenommen wurden, und der Art, wie im Park aus der wildwuchernden Natur ein Extrakt von Maß und Schönheit herausdistilliert war, oder der Verwirklichung der alten menschlichen Idee, ein Dach über dem Kopf zu benötigen, in der Architektur des Schlosses?
Es waren im übrigen keineswegs nur die Frauen, die Stunden damit verbrachten, sich zu schminken und Kleider zu probieren. Zahlreiche Männer taten das gleiche. Einige von ihnen waren ungeheuer effeminiert, ohne daß das irgendwen schockiert hätte. Sie alle einte die gleiche zärtliche Aufmerksamkeit, die sie der eigenen Person widmeten, ein ständiges Bemühen, gut auszusehen, in Form zu sein, brillant aufzutreten; eine kreiselnde Selbstbezogenheit, die sie den Damen zum Verwechseln ähneln ließ und die die gesamte Schloßstadt in ein androgynes Licht tauchte, das Theodor blendete.
Die Wahrheit zu sagen, fand er, sobald er sich an dieses Licht gewöhnt hatte, nichts weiter daran auszusetzen. Gewiß, er war ein Mann, weil Gott eben seinerzeit, um ein
wenig Ordnung zu schaffen, die Menschen in Mann und Frau geschieden und der Zufall ihn ja nun auf einer der Seiten hatte plazieren müssen. War aber von einer physischen Gegebenheit unbedingt auf eine existentielle zu schließen? Das männliche Verhalten mit seinen Konventionen, denen er ihren Willen tat wie nörgelnden Kindern, bildete sozusagen das Alltagskleid seines Lebens, was aber war natürlicher, als daß seinem reichen Seelenleben auch andere Gewänder zur Verfügung standen? Wenn es weiblich war, sich in wollüstigem Genuß kämmen zu lassen, nun, dann gebot er eben auch über weibliche Eigenschaften, und wenn es für männlich galt, andere Männer in die Seite zu puffen, grobianisch auf die Schulter zu schlagen, einander beim Pissen den Schwengel zu halten oder in durchsoffenen Nächten mit immer schwererer Zunge dem Freund die Welt und die eigene Misere zu erklären, kurz, wenn Mangel an Würde, Zurückhaltung und Abstand sein Geschlecht kennzeichneten, dann lag hier eine Grenze, an der er das Mitspielen verweigerte. Er empfand es als unglaubliche Zumutung und Einschränkung, seine innere Welt so ganz aus seiner geschlechtlichen Zugehörigkeit definieren zu sollen.
Solche Gedanken waren der Tatsache geschuldet, daß Theodor in diesen ersten Monaten bei Hofe noch unschuldig war und das geschlechtliche Drunter und Drüber mit neutralem Blick betrachtete. Mehr als die Frage, ob man sich eher zu einem Menschen des eigenen oder des anderen Geschlechts hingezogen fühlen sollte, beschäftigte ihn die, ob überhaupt jemand außer seinem eigenen Blut, sprich seiner Schwester, würdig war, Einblicke ins Tabernakel seines Inneren gewährt zu bekommen.
Daß er, wenn es darauf ankam, trotz dieser geschlechtlichen Flimmeridentität Grenzen zu ziehen vermochte, konnte er kurz darauf feststellen, als ihn seine Studien zum wiederholten Mal zu Monsieur de Cheisseux führten, dem
Bibliothekar in seinem sonnendurchfluteten Bücherreich im ersten
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