Der König Von Korsika
Stock.
Theodor hatte in Versailles Männer gesehen, die in einem behaarten und muskulösen Körper eingesperrte Frauen waren, unglückliche, groteske Zwitterwesen. Er hatte Männer gesehen, so männlich, daß die Jagd auf Frauen ihr einziges Ziel war, und ihr glücklichster Augenblick der, wenn sie auf die erlegte Strecke niederblicken konnten.
Monsieur de Cheisseux dagegen war auf eine andere Weise vollkommen männlich. Er war so sehr Mann, daß er die Frauen einfach nicht brauchen konnte. Nicht, daß er sie verachtet hätte, aber in seiner Welt des Geistes und der Begeisterung durch junges Leben kamen sie schlicht nicht vor.
Saß Theodor an einem der großen Kirschholzschreibtische, die im Tageslicht rotgolden glänzten, und blätterte die Seiten eines Buches um, daß der Staub in den Lichtbahnen wilde Tänze vollführte, konnte es geschehen, daß der Bibliothekar sich von hinten über ihn beugte, sich mit den Händen zu beiden Seiten des Buches abstützte und dann eine hob, um Theodor übers Haar zu streichen, oder ihm die Schultern massierte. Dabei dozierte er auf eine angenehm erzählerische Art und Weise, und Theodor hörte um so aufmerksamer zu, als er den Eindruck hatte, der Bibliothekar rede mehr zu sich selbst und hätte auch gesprochen, wenn er alleine im Raum gewesen wäre.
Mehrere Nachmittage genoß der junge Page die kräftigen massierenden Hände mit der gleichen prinzenhaften Huld wie einst die seiner Mutter oder Minnes und lauschte den Lehrworten männlicher Geistigkeit so geschmeichelt, als hätte De Cheisseux ihn in einen exklusiven Club eingeführt.
Das hätte so weitergehen dürfen, aber plötzlich brachte der Bibliothekar das »Du« ins Spiel, und was bislang in der Schwebe gehangen hatte, unpersönlich und anonym gewesen war, wurde mit einem Mal konkret: Es ging um ihn, Theodor, und um den vierzigjährigen, glattrasierten Mann,
der ihn ganz anders ansah als zuvor, ja, der ihm überhaupt zum ersten Mal in die Augen blickte.
Allez, mon petit baron , ich sehe, die Jugend ist bereit, sich von der Reife an die Hand nehmen zu lassen.
Das war sie jedoch keineswegs. Theodor entzog sich De Cheisseux und ging auf Abstand. Er verstand nicht recht, an welchem Punkt und aus welchem Grund Ton und Stimmung sich verändert hatten, begriff aber, daß der Bibliothekar eine Grenze überschritten hatte, indem er sozusagen nicht mehr hinter ihm stand, sondern vor ihm, sich ihm zeigte und ihm ins Gesicht sah.
Theodors Gefallen an zärtlichen Händen und klugen Worten war eines. Der Schweratmende, der ihn jetzt in die Enge trieb und sagte: Soyez pas coquin, seit Wochen schon regst du mich auf, war etwas ganz anderes. Für ihn empfand Theodor nichts.
Ne sois pas si réfractaire , Bengel! Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste. Laß dir die Augen öffnen. Wovor hast du Angst? Vor meiner Zärtlichkeit?
Schulden wir die Zärtlichkeit und das mit offenen Augen ausgesprochene Du nicht doch den Damen? entgegnete Theodor unsicher und im Bemühen, De Cheisseux nicht zu verletzen.
Mais que m’importent les bonnes femmes. Dich will ich! Allez, pas de manières. Ce n’est pas parce que je t’enculerai une ou deux fois que tu deviendra pédéraste...
Er zerrte mit wachsender Ungeduld an Theodor, der fieberhaft nachdachte, wie er einen Ringkampf mit ungewissem Ausgang verhindern könne. Es hieß improvisieren, wobei er Dinge glaubwürdig in Worte fassen mußte, von denen er keinen genauen Begriff hatte, die aber, dessen war er sicher, in dieser Situation die gewünschte Wirkung nicht verfehlen würden. Er nahm einen, wie er hoffte, verschlagen-verderbten Gesichtsausdruck an und flüsterte dem Erregten sein Sätzchen ins Ohr. Der prallte zurück.
Petite crapule! Warum hast du das nicht gleich gesagt? Aus meinen Augen! Fort mit dir! Ich rechne dir deine Ehrlichkeit hoch an, armes, verlorenes Kind!
So schnell zurück? fragte die Herzogin. Hat De Cheisseux versucht, dich zu inkommodieren?
Ich habe, um mich vor einem Privatissimum zu drücken, eine Krankheit vorgeschützt, unter der ich Gott sei Dank noch nicht wirklich leide, Madame...
Bien fait, mon petit. Diese Franzosen sind alles Schweine, Sodomiten und Schmutzfinken.
Theodor fand, daß seine Herrin übertrieb. Er vermochte auch dem Bibliothekar nicht böse zu sein, das Groteske und Peinliche des Auftritts wurde doch überwogen von der leisen Erschütterung, Zeuge geworden zu sein, wie ein Mensch sich ihm öffnete und sich dadurch vor ihm erniedrigte,
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