Der König Von Korsika
Konzentration, Gründlichkeit. Was also fehlte Sternhart?
Theodor grübelte darüber nach, während er sich wieder ankleidete, die Masseuse mit einem großzügigen Trinkgeld verabschiedete und auf seinen Freund wartete. Letztlich war es die Achtung vor dem Mysterium, dem der Liebe, der Frau, der Natur. Es fehlte Sternhart ein religiöses Gefühl.
Das er selbst im Übermaß besaß. Ja, er war unmodern. Verglichen mit Männern wie Montague oder Jakob war er ein geistiger Anachronismus. Er fühlte sich Jahrhunderte älter als sie, ja, er fühlte sich hier in diesem Bordell, an Minne und Mysterien denkend, während es um ihn herum zuging wie im Kaninchenstall, zutiefst adelig.
Kurz darauf lief der Kahn von Theodors Leben, in dem er gegen die Fahrtrichtung gesessen und die zurückweichenden Ufer betrachtet hatte, die Ruder nur beiläufig benutzend, da die Strömung den Nachen von alleine ins Unbekannte trug, auf Grund.
Zunächst endeten, fast ebenso gleichzeitig, wie sie begonnen hatten, seine Lieben.
Die Baroness Valentini sagte mit einem parfümierten Billet, das etwas zu ostentative Tränenspuren trug, eines ihrer galanten Rendezvous ab und nahm ihn, das nächste Mal, als sie einander bei Hofe sahen, freundschaftlich am Arm.
Ich kann nicht von dir verlangen, Theodor, daß du mir verzeihst, aber wenn dir unsere große Liebe etwas bedeutet
hat, dann fordere ihn nicht zum Duell. Ich würde es nicht überleben und meine Tage im Kloster beschließen, wenn einem von euch etwas zustieße. Ich bin ihm verfallen.
Mit diesen Worten deutete sie auf einen rundlichen Zwerg mit schiefhängender Perücke, dessen linker Schuh im weichen Boden steckengeblieben war, und der jetzt auf einem Bein im Kreis hüpfte.
Was, dieser Homunculus?! rief der abservierte Liebhaber und kämpfte beleidigt einen Lachreiz nieder. Von der Sorte holt Vanzetti dir fünf am Tag aus der Retorte!
Sprich nicht niedrig von ihm, Zorniger. Ich kann so herrlich mit ihm lachen, entgegnete die Baroness und klammerte sich an Theodors Arm, als müsse sie ihn wirklich davon abhalten, auf seinen Rivalen loszugehen.
Mit ihm oder über ihn?
Auch wenn ich über ihn lache, lacht er mit. Und er ist unersättlich...
Ich will es mir lieber nicht vorstellen, sagte Theodor.
Wirst du dich immer an mich erinnern, Geliebter?
Er sah sie an, und jetzt zum ersten Mal wurde ihm flau im Unterleib, er unterdrückte die Tränen und entsann sich der Momente, als sie ihn gebeten hatte, ihr zu sagen, er liebe sie. Und ebenso brav antwortete er auch jetzt mit Ja.
Peinlicher, viel peinlicher war das Ende mit Gertrud-Laura. Die Liebe hat ihre eigene Dynamik, und nachdem er so lange damit gespielt hatte, von der Seele seiner Angebeteten zu phantasieren, wurde der Drang, dieses Luftgebilde im Fleische an sich zu drücken, so übermächtig, daß Theodor die Gedichte im Schrank ließ und die Festung mit geeigneteren Waffen stürmte: der Vorspiegelung von Reichtum und ernsten Absichten. Und kaum gab er die Subtilität seiner Werbung auf und trachtete, vulgär seinen Willen durchzusetzen, geriet Gertruds Bollwerk, ihre teuer zu Markt getragene Tugend, ins Wanken, und sie stimmte einem heimlichen Treffen zu.
Hätte er es doch nicht darauf ankommen lassen, und vor allem nicht wenige Tage, nachdem die Valentini ihn entlassen hatte! Aber wer weiß, ob nicht ein unterirdischer, Theodor selbst nicht ganz bewußter Zusammenhang bestand, und er jetzt, da die eine Geschichte zuende war, auch die mit ihr verbundene so oder so erledigen mußte.
Es wurde ein traumatisches Erlebnis, denn sein überbordendes zärtliches Gefühl, die Nähe der Unschuld, das Sehnen, das das geliebte Ziel endlich greifbar nahe vor sich sieht, mit entblößter, rosenfarbener Brust, blockierte Theodors Handlungsfähigkeit vollkommen.
Wessen es jetzt bedurft hätte, wäre eine handgreifliche, valentinische Initiative von seiten der Angebeteten gewesen, dann hätte alles noch gut enden können, aber die Kehrseite der Unschuld ist nun einmal die Tumbheit.
Theodor brach in Tränen aus, den Tempel vor Augen, der darauf bestand, geschändet zu werden, aber nicht dabei mithalf, denn er, er konnte nicht beides leisten: nicht die Liebe zu diesem Mädchen und gleichzeitig ihre Umsetzung, Auflösung, Ersetzung in der und durch die Tat. Als Gertrud dies schwer atmend verstand und natürlich nicht verstand, daß hier eine zarte, tiefe, fast heilige Emotion an der Krassheit ihrer Fleischwerdung scheiterte – Theodor sah mit
Weitere Kostenlose Bücher