Der König Von Korsika
Gastland, von Gott eingesetzt, und beide sollten tun, was sie für richtig hielten, solange sie ihn nur seine Rechenmaschine konstruieren ließen. Im übrigen strebte er nach einem Amt, und wenn er auch im kleinen Kreis mit seiner Verachtung für die Unfähigkeit aller Administration nicht hinter dem Berg hielt, war er doch
Dialektiker genug, den Mund zu halten, sobald er vor jemandem stand, der eventuell für seine Zukunft von Belang war.
Insgeheim hielt Theodor Sternhart für einen schlummernden Fanatiker. Dieser unbedingte Glaube an Theorien und Axiome, diese Ungeduld mit dem Gletscher der Menschheit, der Zoll für Zoll auf seine Durchgeistigung und Höherentwicklung zukroch, seine exklusive Liebe zu den Gedanken und seine Verachtung für die Leute, die sich nicht nach ihnen richteten, machten eine Zukunft vorstellbar, in der solche ungeduldige Hoffnung sich in unduldsamen Terror verkehren und eine neue, der Athene geweihte Inquisition ins Leben rufen würde, gegen die die spanische, die immerhin noch Raum ließ für göttliche Gnade, sich wie ein harmloser Scherz ausnehmen würde.
Einmal besuchten sie in einem Hinterhof des Boulevard du Crime einen Hahnenkampf, ein Gedränge und Gewoge schreiender, säuerlich riechender Männer vor dem abgesperrten Areal, das fistelnde, synkopische Gebrüll des Wettleiters, die ganze Fauna von der Cour des miracles , freigelassene Galeerensträflinge, Einäugige, Holzbeinige, Bettler, Säufer, Taschendiebe, Zuhälter, und dann die noblen Hähne, jettschwarz, kardinalsrot, goldgelb in ihren Käfigen, die Trauben von Freunden und Beratern um ihre Besitzer, die sich mit Blicken maßen wie Faustkämpfer, die irrlichternden schwarzgelben Knopfaugen der sich plusternden Vögel, das geld- und blutgierige Augenweiß der Zuschauer. Dann wurden die Käfige geöffnet, und, zwei rauschende Sturmwinde, zu schnell, um Einzelheiten wahrzunehmen, flogen die Kampfhähne aufeinander zu, vereinigten sich zu einem hackenden Knäuel, aus dem Federn stoben, Schreie schrillten und Blut spritzte. Kollektiv hielt der Pöbel den Atem an und schnaufte im Takt, die eisenspornbewehrten Krallen des dunkleren Hahns gruben sich ins Brustfleisch seines Gegners, dann rollte, ein schwarzes Kügelchen, dessen
ausgehacktes Auge in den weiß-roten Sand, es folgte die Agonie des jetzt wehrlosen, aus einem Dutzend Wunden blutenden Verlierers, der die Flügel hängen ließ, während sein Gegner in unerbittlichem Blutdurst wie hypnotisiert weiter auf ihn einhackte.
Theodor wandte sich ab, ihm war übel, er wollte das nicht sehen, dieses Martyrium unschuldiger Kreaturen. Sternhart beobachtete alles mit unbewegtem Gesicht, mathematisch kalt, oder wie er selbst hinterher sagte: interessiert. Du bist zu sentimental und zu oberflächlich, erklärte er dem Freund, und Theodor dachte: Und du weißt nichts von Würde.
Es gibt eine Würde des Sich-Abwendens, des Nichtalles-sehen-und-wissen-Wollens, die dir fremd ist. Sich abzuwenden bewahrt die eigene Würde und die des Nicht-Angeblickten. Es gibt nämlich Blicke, und dein eiskalt interessierter gehört dazu, die dem andern seine Würde nehmen.
Im Bordell war es das gleiche.
Theodor, der den Manufakturbetrieb des Geschlechts verabscheute und sich selbst nur eine Massage bestellt hatte, verließ nach kurzem den gemeinsamen Raum, um von den Bildern und Geräuschen nicht für den Rest seines Lebens in eine Askese des Ekels getrieben zu werden. Sein Freund Sternhart erinnerte ihn an ein idiotisches Kind, das sich stundenlang mit demselben Steckspiel beschäftigt und nichts anderes kann und will.
Nur die eigene Ermächtigung und Auslösung interessierte ihn, und für alles, was an den Mädchen nicht der Penetration diente, begeisterte er sich ebensosehr wie der Bauer für die Schönheiten der Natur, wenn er mit prüfendem Blick aufs Feld tritt und sagt: Die Furche ist feucht, wir können säen.
Es ist die Erotik eines Wissenschaftlers, dachte Theodor befremdet, reduziert auf das Ineinandergreifen zweier
Organe, die Erotik eines Bürgers, dessen Moral eine der Ergebnisse ist: Stehen am Ende der Mühen drei Tropfen Rendite, so waren sie gottgefällig.
War es nicht Mortagne, der gesagt hatte: Reüssieren ekelt mich an. Wie er ihn doch verstand.
Und doch durfte er nicht Jakobs Tugenden vergessen, die die Kehrseite des Abscheulichen bildeten, Tugenden, die er in Versailles nicht angetroffen hatte und die er in sich selbst so schwach entwickelt fühlte: Fleiß, Ausdauer,
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