Der König Von Korsika
Theodor um des Redens willen, das war nicht genug.
Das Gespräch mit dem großen Mann war zu konkret,
um mit seinem à-peu-près -Stil bestritten werden zu können. Man benötigte Fachwissen, um sich mit ihm zu verständigen. Beleidigt sagte Theodor sich, daß der Zar mit Sternhart lieber geredet hätte als mit ihm, auch wenn ein stures, widderhaftes und für jeden Außenstehenden todlangweiliges Fachgesimpel über Schiffbau und Konstruktionsphysik dabei herausgekommen wäre.
Meine Zeit ist gemessen, sagte der Russe, ich danke für Ihre Ausführungen, und streckte die Hand aus, in die Theodor Görtz’ versiegelten Brief legte. Dann wurde er entlassen.
Während er sich noch über sich selbst und den schroffen, ihm überlegenen Mann (immerhin keine Zeugen!) ärgerte, fiel ihm ein, was er tun würde. Er würde ein Fest ausrichten. Im Hause Boon. Ein Fest zu Ehren seiner Gastgeber. Ein gigantisches Fest. Eine Orgie bei den Calvinisten.
Welch eine Idee! Was lag ihr zugrunde? Wollte Theodor, durch die Begegnung mit dem Zaren erniedrigt, die Zwecklosigkeit der eigenen Existenz in hedonistischem Exzeß hochleben lassen? Brauchte er den großen Rahmen, um Els van Boon im Auge des Sturms ungestört zu verführen? Glaubte er, nur so seine Erhöhung und sein Glück demonstrieren zu können, oder trieb ihn vielmehr eine heimliche anarchische Lust, das Erreichte zu zerschlagen, die fünf Leutnants-Jahressaläre auf einen Schlag zu verpulvern und mit leeren Händen dazustehen, um erst im Begreifen, nichts mehr zu haben, verstehen zu können, was er besessen? War es Angst, schon am Ziel zu sein, und der Glaube, nur die Hoffnung treibe das Leben voran, wo aber Ergebnisse und Abschlüsse sich einstellten, könne Hoffnung nicht mehr gedeihen? Oder war es vielleicht ein etwas infantiler Protest gegen die beängstigende calvinistische Philosophie des gottgefälligen Erfolgs. Denn um mit Mortagne zu sprechen: Erfolg war ein Grund, sich zu schämen.
Das Fest fand am Ende der achten Woche von Theodors Amsterdamer Aufenthalt auf drei Etagen des Van Boon’schen Patrizierhauses statt und versammelte über zweihundert Gäste.
Theodor hatte ein Orchester und ein ganzes Theater aus Paris kommen lassen, um ein Schäferspiel mit Ballett aufzuführen. Er hatte faßweise burgundischen Rotwein und tausend Flaschen Champagner bestellt. Zwei Rinder wurden in dem hohen Kamin im Erdgeschoß gebraten, eine ganze Wagenladung Hühner und Täubchen traf flatternd und schreiend in der Herengracht ein.
Larbi war tagelang in der Stadt unterwegs, um Einladungen zu überbringen, und hatte darüber hinaus den Auftrag, fünfzehn der schönsten Prostituierten königlich auszustatten, auf zunächst dezentes Betragen einzuschwören und sie unter die Gäste zu mischen. Meterhohe Tücher und Draperien wurden genäht, um die Wände und Fenster zu verhängen und Atmosphäre zu schaffen, Hunderte von Kerzen gegossen, die den Eindruck erweckten, man treibe durch ein Meer geschmolzenen Goldes.
Die Sehnerven der Gäste wurden bis zur Hysterie strapaziert von schwirrenden Aufwärtern, schwellenden Blumenarrangements, wogenden Orchesterperücken, sichelnden Bögen und walnußfarbenen Geigenkörpern, von gebauschtem Tuch, leuchtenden Damastdecken und schimmerndem Geschirr voll gelbbraun krossen Geflügels. Ein Geruchsgemisch aus Gebratenem und Gebackenem, Punsch und Likör, Parfum und Blumenduft und Kerzenwachs und schwitzender Menschendichte exaltierte ihre Nasenschleimhäute. Die zunächst noch klar auseinanderzuhaltenden Klangwelten verdichteten sich, indem der Abend voranschritt, zu einem Gebrumm, wie ein Schlagflüssiger es im Kopfe hört.
Einige wenige Gäste entkamen beizeiten und retteten sich in die nüchterne Amsterdamer Nachtluft. Die übrigen
aber speisten und redeten und gerieten, je länger der Abend dauerte, desto stärker in den Bann dieser katholisch-sinnlichen Walpurgisnacht, über die Theodor herrschte, in Schwarz und Weiß gekleidet, ein heilig-nüchterner Mephistopheles mit leuchtenden Augen, der immer noch ein Gericht auftragen ließ und noch mehr von dem ungewohnt schweren Wein in die Kehlen der Patrizier kommandierte.
Das Schäferspiel mit seinen schwülen Ballettszenen griff auf die Zuschauer über, Hände und Münder verselbständigten sich, die Musik wurde schrill und wieder einschmeichelnd und wieder kreischend, die Würde der Gäste zerfiel in lüstern trunkener Sinnlichkeit, kippte in Hysterie, die erst im alkoholisierten Koma zur Ruhe
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