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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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kam. Halb entblößte neben- und aufeinander eingeschlafene Menschen, denen die Schminke zerlaufen war, deren helle Hemdbrüste rote Weinflecken verunzierten, lagen zusammen mit entbeinten Hühnchen und abgenagten Hammelkeulen auf der Walstatt. Verdauung und Schlaf senkten sich über die endende Nacht, durch die eine Hafenhure mit einem Jahresgewinn zurück an ihre Arbeit trippelte, unwirsch die Atlasschleppe ihres moosgrünen Kleids hinter sich herzerrend wie ein bockendes Hündchen an der Leine. Herr van Boon war am Ehrentisch, den er den Abend über nicht verlassen hatte, den Kopf auf der Eichenplatte von dunkelgrünen leeren Flaschen bewacht, die Arme um zwei schnarchende Damen gelegt, schon vor Stunden eingeschlafen. Aufwärter füllten die liegengebliebenen Speisen in Kartoffelsäcke, ein Geiger und ein Spinettist musizierten noch immer, mit geschlossenen Augen, mechanisch wie Spieldosen, der dünne Klang hallte gespenstisch durchs Haus.
    Dies war Theodors Stunde. Durch die sich wellenden Tüllbahnen schien die graue Helligkeit des anbrechenden Tags hindurch.
    Er hatte viel getanzt und geplaudert, aber nicht mit Els van Boon, nur so, daß sie es sah. Mehrere Male im Vorübergehen
hatten ihre Kleider sich berührt, und er spürte in den Fingerspitzen, daß sie auf ihn wartete. Jetzt trat er zu ihr, die ihn aus geröteten Augen zwischen Trunkenheit und Traum schlaff und sinnlich zugleich anstierte. Er schloß die Augen, die letzte Grenze der Fremdheit, der Weg bis zur äußersten Indiskretion mußte sich von selbst überbrücken. Er fühlte sich wie angesaugt, öffnete die Augen, die Patriziergattin hatte schlafschwere Arme um ihn geschlossen. Sie setzte sich auf den Tisch, öffnete die Beine, hob ihr Kleid mit beiden Händen hoch, hielt es mit dem Mund fest, die nackten Schenkel schmatzten auf der weinfeuchten Tischplatte, ihre Arme legten sich wie Bleigewichte auf seine Schultern, ihre Beine schlossen sich um seinen Rücken, sie zog ihn an sich, öffnete den Mund, und das Kleid fiel über den Moment ihrer Vereinigung.
    Als sie sich wortlos voneinander lösten und ihre Toilette in Ordnung brachten, las Theodor zu seiner größten Befriedigung in den Augen Els van Boons eine Art staunendes Grauen, in dessen Zentrum die schmalen Pupillen müde, katzenhafte Genugtuung signalisierten.
    Hier zumindest, sagte Theodor sich, würde man ihn nicht so schnell vergessen.
    Im frühen Morgen begleitete Theodor den Großkaufmann Jacob Cats, bei dem er die Lieferungen für das Fest in Auftrag gegeben hatte, nach Hause. Cats war wie aufgedreht, seine rechnende Seele und seine von Calvins Ketten befreite Lebenslust, die nicht anders konnten, als die denkwürdige Nacht in einem erregten Wortschwall zu kommentieren, kamen sich dabei ständig ins Gehege.
    Theodor bilanzierte launig: Amsterdam war ein gutes Pflaster für Geld und Geschäfte. Und wenn man ein wenig nachhalf, auch fürs Vergnügen. Seine fünf Jahresgehälter steckten in der Tasche des Mannes, der neben ihm ging und der ihn nie mehr vergessen würde. Er war mittellos, schwerelos, voller guter Hoffnungen. Am selben Tag wurde der
Baron Görtz aus seinem Arrest entlassen, fuhr nach Amsterdam und bot Theodor an, sein Privatsekretär zu werden. Der hatte das Gefühl, sich für diesmal aus Amsterdam verabschieden zu sollen, und willigte ein.
    Die Reise gehe nach Mecklenburg, erklärte Görtz. Was sein Gehalt sei, fragte Theodor. Der große, bärtige Mann sagte es ihm. Es entsprach einem Leutnantssalär beim Régiment d’Alsace.

Siebtes Kapitel
    An der Seite des Barons von Görtz ritt Theodor durch endlose Ebenen nach Norden. Eine taubengraue Wolkendecke war von Horizont zu Horizont gespannt, beulte sich im Osten schwer und dunkel aus und hing bis auf die schwarzen Felder durch. Dort regnete es. Es war ein eisiger Regen, und der Wind, der über die flache Landschaft blies, zauste das graugrüne Gras wie ein Fell.
    Manchmal fiel der Regen in dicken Tropfen, die wie Hagelkörner auf der Stirn zerplatzten, manchmal fein gesiebt, durchdrang die Kleidung und maserte das horizontale Gefüge der Natur mit silbriger, diagonaler Schraffur. Sie kamen an schwarzen, abgebrannten Stoppelfeldern vorüber. Aus einem Bruch stieg mit schwerem, nassem Flügelschlag ein Bussard. Bewässerungskanäle kamen quer, verloren sich zu beiden Seiten im Dunst. Ab und zu schälte sich aus der nassen Luft eine hohe graue Silhouette, die im Näherkommen schwarz wurde, ein mittelalterlicher, zum Kampf

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