Der König Von Korsika
fettes Kind auf dem Schaukelpferd, hielt die Zügel und mußte auf Kommando des Künstlers Hottehüh machen, das heißt, auf und nieder hopsen, wobei er seinen Hut verlor; es war ein entwürdigendes Schauspiel. Der rastlos zwischen seinen Generalstabsoffizieren umherirrende Schwede, der zwei Pistolen im Gürtel trug, war auch so ein großes Kind. Und er spielte Krieg. Und je blutiger das Spiel wurde, je mehr Figuren umfielen, desto lauter jauchzte er und klatschte in die Hände.
Theodor erkundigte sich bei Görtz über seine weitere Verwendung und erhielt die bittere Antwort, er werde wohl, mangels besonderer diplomatischer Missionen, zeitweilig zum Kriegsdienst abkommandiert werden.
Nach einer schlaflosen Nacht versuchte er mit dem Minister zu reden, zu handeln, schließlich bot er ihm sogar seine Aktien an, um sich freizukaufen, und fiel am Ende vor seinem Gebieter auf die Knie.
(Larbi, sagte er auf dem Weg nach Glückstadt, wo sie eine Woche später in See stachen, tonlos und kalt: Ein Wort jemals zu irgendwem über diesen Auftritt, und du bist ein toter Mann.
Entendu Monsieur , begnügte der Diener sich zu antworten.)
Der halb belustigte, halb angewiderte Görtz vertraute ihm schließlich eine Mission nach Spanien an, erklärte ihm aber sogleich, er müsse selbst sehen, wie er an den Premierminister, den Abbé Alberoni, herankomme, um ihm die Vorschläge seiner Majestät zu unterbreiten und schmackhaft zu machen.
Theodor war es gleich, daß er kein Spanisch konnte, daß seine Reisekasse für einen derartigen Auftrag lächerlich, ja empörend schmal war, die Seereise nicht gefahrlos, die Zukunft ungewiß. Er mietete sich auf einem Kauffahrer seines
Freundes Cats ein und reiste mit Larbi nach Bordeaux und von dort auf dem Landweg in die spanische Hauptstadt.
In Madrid angekommen, war Theodors Kraft allerdings erschöpft, und er verkroch sich in einem Mietshaus mit Patio. Er kannte niemanden, er beherrschte die Sprache nicht, er war verloren wie ein Kind und beschloß, krank zu werden.
Er litt, wenn überhaupt an etwas, an einer Art frenetischer Langeweile, worunter eine Kombination verschiedener Ängste zu verstehen ist, die eine hoffnungslose Trägheit und Lähmung erzeugten, welche ihn wiederum mit jedem untätig dahingebrachten Tag nervöser und zappeliger machte, derart, daß er sogleich, um sich zu beruhigen, ins Bett zurückkehren mußte, aus dem er noch kaum wie ein Getriebener und mit den Worten »Jetzt muß endlich etwas geschehen« aufgesprungen war.
Ängste, dachte Theodor, an die weiß verputzte, im Dämmerlicht grau schimmernde Decke starrend, Ängste plagen mich, anstatt daß ich dem Himmel danke, dem Schlachtgetümmel dieser Kriegswilden entronnen zu sein.
Aber die Freude darüber und die Erleichterung waren aufgebraucht gewesen, sobald er in Bordeaux wieder festen Boden unter den Füßen gespürt hatte. Und dann die fremde Stadt, in der er sich nicht auskannte. Die kalten Mauern, zwischen denen man sich verlief, der Spießrutenlauf zwischen den gehässigen oder drohenden Blicken, bis man vor lauter Konzentration auf seine Schritte ins Stolpern geriet, die Gespräche in hellen Türöffnungen oder hohen offenen Fenstern, die man hörte, aber nicht verstand, soviel Unbegreifbares, in dem die Integrität des eigenen Wesens zu zerfallen drohte. Angst vor der agressiv hervorzuckenden, lauten flagellantischen Religiosität in den Augenzisternen dieser Menschen.
Kopfschüttelnd setzte er sich auf und sagte halblaut und mit jener wohlwollenden Nachsicht, jener noch in der Befremdung
bewundernden und anerkennenden Neugier, die er immer für sich aufbrachte, auch für die seltsamsten und am wenigsten beispielhaften seiner Eigenschaften: Ich habe eine wirkliche Begabung zur Angst!
Das unedle Wort bezeichnete bei genauerer Überlegung in seinem Fall aber keine Feigheit, sondern vielmehr die höchst respektable Verbindung eines kenntnisreichen Interesses für die eigene Person – das wiederum nichts anderes war als ein Ausdruck der Achtung vor dem Wunder seines Lebens – mit einem illusionslosen Bewußtsein von den Gefahren, die auf ein exponiertes Dasein lauerten, ja, die ein solches womöglich sogar anzog.
Ein Talent für die Angst hieß aber auch, genügend Phantasie aufbringen zu können, um alle drohenden Eventualitäten zu benennen und somit schon halb zu bannen, die sich auf seinem Weg befinden mochten. Es hieß, der Zukunft, seinem größten Gläubiger, nicht ganz über den Weg zu trauen.
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