Der König Von Korsika
als Charaktereigenschaft betrachtet, wer sich zutraulich in Fortunas Schoß schmiegt und sich als ihr Hätschelkind geriert, der wird sich, bleibt dieses Glück einmal aus, denn auch gleich als Verfluchten
sehen müssen, als den letzten der Menschen oder auch als einen, den die Götter dafür strafen, daß er so ist, wie er ist.
Theodor sollte in der Folgezeit alle Gelegenheit erhalten, die Wechselfälle des Glücks am eigenen Leib zu spüren, wie eine Folge kalter und warmer Güsse, und in langen müßigen Stunden sich auszumalen, was passiert wäre, hätte er anders entschieden, als die Gelegenheit sich bot – nur: Bot sie sich denn jemals wirklich?
Er war noch nicht in Venedig angekommen, als er von einer Seeschlacht zwischen Spaniern und Engländern am südlichen Zipfel Siziliens hörte, einige Tage später verdichtete sich dieses Gerücht zur Nachricht von der Niederlage bei Kap Passaro. Er befand sich mitten im venezianischen Karneval, als er erfuhr, der schwedische König sei in der Schlacht gefallen und sein bereits halb vergessener Immernoch-Herr, der Graf Görtz, verhaftet und kurz darauf enthauptet worden. Er war im Sommer zurück in Madrid, da unterzeichnete Alberoni unter dem Druck der allgegenwärtigen Engländer seine Abdankungsurkunde, zwischenzeitlich hatte er erfahren, daß Cats’ Spekulationen mit Laws Aktien ihn zu einem reichen Mann gemacht hatten, als er jedoch in Paris sein Kapital abheben wollte, geriet er in die Bankrottswirren der Notenbank und fand sich einige Tage später so arm, wie er seit seiner Jugend nicht mehr gewesen war.
Was also war der Grund, sich auf Gedeih und Verderb dem Glück, das heißt dem Zufall, zu verschreiben?
Nur das Glück sprengte die Ketten der Kausalität. Nur mit Hilfe des Glücks konnten Sprünge vollführt, Grenzen überwunden und Ziele erreicht werden, zu denen keine Anstrengung und keine disziplinierte Arbeit einen je brachte, bevor man alt und tot war.
Auch befand sich der das Leben durch Planung und Fundierung Meisternde in eine einzige Spur gezwängt. Kam er durch, erreichte er nur das, was er immer vor
Augen gehabt hatte. An eine Erfüllung in solch engem Hohlweg wollte Theodor nicht glauben und kam für sich als der Weisheit vorläufig letztem Schluß zu der Erkenntnis, daß der Mensch soviel nicht war und vermochte, als seines Glückes einziger Schmied zu sein, daß es immer mehr als die eigene Mühe brauchte, um etwas Schönes aus seinem Leben zu machen, nämlich die Einwirkung höherer Mächte.
Genau besehen war dies eine demütige Haltung, von vornherein bei allem, was man tat, die unabdingbare Hilfe des Schicksals zu erflehen oder ins Kalkül zu ziehen, und es machte Theodor Freude, sich selbst als einen im tiefsten Sinne demütigen Menschen, einen Bruder der Einsiedler und Heiligen sozusagen, zu begreifen.
Dieses Bestreben nach glückhafter Rahmung seiner Lebenswege und Schönheit des Bildes, das er vor einem Parkett zuschauender Götter abgäbe, bewog ihn auch, kaum hatte er erfahren, daß Venedig auf dem Landweg erreicht werden sollte, also quasi von hinten durch die Sümpfe, den Kutscher und die übrigen Reisegäste mittels einer großzügigen Zahlung zu einer Routenänderung zu veranlassen, so daß man, die Brenta abwärts stakend, sich schließlich in Chioggia einfand, wo Theodor ein Boot mietete, um die langerträumte Stadt auf dem einzig angemessenen, dem Wasserwege über die Lagune hin zu erreichen.
Während er im Bug auf einem schwarzpolierten Holzstuhl saß und dem pitschenden Peitschen der sechs Ruderblätter lauschte, die beinahe synchron ins Wasser tauchten und das Boot mit sanften Schüben vorwärtstrieben, während er abwechselnd auf den wolkenlosen Himmel und seine verwellten Spiegelungen im braun-grün-goldenen Wasser der Lagune sah, die Holzpfähle und Pfahlhütten der Muschelfischer als dunkle vertikale Maserung des ansonsten ausschließlich horizontal strukturierten Bildes wahrnahm, durch Schwärme winziger Mücken glitt, die ein
Windstoß zu Nichts zerwirbelte, und mit zusammengekniffenen Augen den Horizont absuchte, wo in pastellenen Farbschlieren und Dunst Himmel und Lagune ineinander übergingen, um als erster die Silhouette der Stadt zu erblicken, zerriß das Bild vor seinen Augen auf einmal mit einem zugleich stechenden und bohrenden Schmerz in einem seiner linken unteren Backenzähne.
Tränen stiegen in Theodors Augen, er preßte den Unterkiefer mit beiden Händen zusammen und drehte sich zu Larbi um, der
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