Der König Von Korsika
Bauch fährt, ins Weiche, Innere und in einem Strahl dein Leben raubt, und links und rechts weht das Gras im Wind, und die Vögel zwitschern, und das Wasser fließt zur Mündung, und du könntest ausscheren und fortlaufen und leben, und du kannst nicht. Du kannst nicht.
Da begann das Musketengeknatter, die Marschordnung löste sich auf, die Heere trafen aufeinander, vermischten, verkeilten sich, die Trommel war verstummt oder nicht mehr herauszuhören, ein wirres Gewusel, der brennende Ameisenhaufen.
Der Kanonendonner war schon selbstverständlich geworden, und jedesmal, wenn Theodor den nächsten Schlag im gewohnten Rhythmus erwartete, und er kam nicht,
sondern erst im Moment darauf, wenn die angespannten Nerven sich gerade lockerten, zuckte er zusammen wie in einem epileptischen Krampf und fiel beinahe vom Pferd.
Er sah, wie die Lippen der Umstehenden sich bewegten, hörte aber nichts mehr außer den Schlägen, bis direkt unter ihm die Lärmhaut aufriß: Einer der Kanoniere war dem Rückstoß nicht ausgewichen, lag da, die Brust schief und flach eingedrückt, Blut floß aus seinem Mund, aber sein Gekreisch verstummte rasch.
Am Horizont löste sich jetzt die Reiterei aus dem Schatten der Pappeln, fächerte sich in der Vorwärtsbewegung auf, und in der Nachhut der Schweriner entstand Panik.
Offenbar hatte der Wind sich gedreht, die Schreie der sich Mut Machenden und das Gebrüll der Verwundeten drang an ihr Ohr wie ein Chor jaulender Höllenhunde, die schiebenden und geschobenen Bewegungen des Gemetzels parodierten einen Contredanse, zu dem die Kastagnetten der Musketenschüsse knatterten. Rot, als wären sie durch Blut gezogen worden, leuchteten Fahnen auf und verschwanden gleich wieder im Körpergewoge.
Die gegnerische Infanterie hatte mit ihrer Zange den Kopf des schwedischen Heers abgebissen, aber jetzt wurde sie von hinten aufgerieben. Das war der Moment für Görtz und auch für Theodor, hinabzureiten und den Endkampf aus der Nähe zu dirigieren. Blutige Uniformen, grotesk übereinander getürmte Körper wie in der Umarmung gemeuchelte Liebespaare. All die aufgerissenen weißen Augen, das abgebrochene, gesplitterte Holz in Bäuchen, Schenkeln, Hälsen. Die Musketen bellten nur noch vereinzelt auf, Pulverdampf und Regen mischten sich zu dichtem Weihrauch. Ein Botenreiter direkt neben Theodor fiel plötzlich lautlos vom Pferd. Erst als er auf dem Rücken ausgestreckt lag, sah man das schwarze Loch in seiner faltenlosen Stirn, den Ausdruck von Überraschung auf seinem Gesicht.
Überall um sie herum noch immer rennende, schreiende, stechende Soldaten, die Schweriner kämpften um ihr Überleben, die schwedischen, jetzt in der Überzahl, befreiten sich in Haß und Blutdurst aus den Klammern ihrer Todesangst.
Botenreiter kamen heran und sprengten wieder fort, Kavallerieoffiziere machten Meldung, dann deutete jemand auf den gegenüberliegenden Hügel: Die weiße Fahne wurde geschwenkt. Es regnete noch immer und war den ganzen Tag nicht hell geworden.
Dann begann die Plünderung der Leichen. Sie wurden umgedreht, entwaffnet, entkleidet, auf Haufen geworfen, man leerte die Taschen, und am Abend, als Brände loderten und der unterlegene Heerführer schon zwei Stunden zum Palaver in Görtz’ Zelt saß, kam der Mond zwischen den Wolken hervor und beleuchtete matt die Hunderte von nackten, bleichen Körpern, die in sich selbst verdreht dalagen mit in der Todesstarre steif abstehenden Armen, die das nächtliche Gestirn anzuflehen oder zu preisen schienen. Insekten nahmen Besitz von allem Weichen, und Krähenschwärme flatterten und hüpften zwischen den Toten umher. Ein Nachhall von Pulvergeruch und süßlicher Wundgestank hingen in der Luft.
Theodor fand Larbi beim Küchenwagen und ließ sich Fleisch und Rum servieren. Er war hungrig wie ein Wolf.
In Stralsund bekam er den schwedischen König zu Gesicht, ein junger Mann noch, nur zehn Jahre älter als er selbst. Das schwedische Heer hatte auf seinen ausdrücklichen Befehl nicht in der Stadt Quartier genommen, sondern kampierte vor ihren Toren in Regen und Kälte.
Der König wollte keinen Komfort, er wollte unter seinen Männern sein. Er roch nach Pferd und altem Schweiß. Theodor mußte an eine Szene im Palast von Versailles denken, als der zukünftige Regent, der Sohn der Pfälzerin, für ein Reitergemälde porträtiert wurde und er im Gefolge der
Mutter bei den untätig-bewundernden Zuschauern gestanden hatte. Philippe saß auf dem Bock wie ein großes,
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