Der König Von Korsika
unter seinem nom de plume vor zwei Jahren mit einem »Ödipus« einen Theatertriumph davongetragen hatte, ein kleiner Mann, häßlich, mit einer das Gesicht fressenden langen Hakennase und funkensprühenden, braunen, tiefliegenden Augen, eine schwarze Strähne fiel ihm beständig in die Stirn, der saß da im weißen offenen Hemd, als die Uniformierten ihn wieder einmal abholten, und hob die Arme zur Begrüßung.
Ah, Messieurs, ich habe Sie schon erwartet! Klein und mager, wie er war, sprang er auf, seine Freunde standen Spalier und applaudierten. Sie standen auch zwei Wochen später wieder applaudierend Spalier, als der sehnige, sperberköpfige Mann mit einem Stoß, der ihn stolpern ließ – er übertrieb das Stolpern komisch, aber der Stoß hatte ihn wirklich aus dem Gleichgewicht gebracht -, aus dem Tor des Gefängnisses entlassen wurde. Theodor sah hin und sah nur die zwei tiefen Falten, die von der gewaltigen Nase herabliefen, bevor der Mund mit den schlechten Zähnen sich zu einem Grinsen verzog.
Der Kerl hat die Zähne zusammengebissen, dachte Theodor inmitten der jubelnden Zuschauer, und er kann sie zusammenbeißen. Es hatte etwas von einem Seiltänzer, wie er sich bewegte. Rein in die Bastille, raus aus der Bastille. Verbannt nach Sully-sur-Loire, und wieder zurück nach Paris. Und sie lachten darüber.
Jenes Manuskript, die Geschichte der zwei Perser Usbek und Rika mit dem unverschämten Porträt Ludwigs als »Großem Zauberer« stammte angeblich von einem Adeligen aus der Provinz, einem Baron de Secondat aus Bordeaux. Und nicht nur der kritische Stachel der Schrift war
es, die Kritik am Monarchen und den Zuständen, an der Akademie oder der Spott über die Religion, der Theodor schockierte, sondern vor allem die Handhabung der Liebe und die Rolle der Frauen – in dem Manuskript übrigens so gut wie im Leben dieser Herrschaften, soviel er davon mitbekam.
Theodor hatte nämlich ein Auge auf eine blonde junge Frau aus Arouets Clique geworfen und beschlossen, sie zu erobern. Er nahm sie mit ins Theater, er dinierte mit ihr, über den Tisch blickten sie einander in wortloser erotischer Herausforderung an, und als Theodor sie nach Hause brachte und sich auf einige Wochen prickelnder Spannung freute, voller Sehnsucht, Träume und um den heißen Brei streichender Konversation, sagte sie: Komm rein, ich habe ja auch Lust!
Willenlos vor Verblüffung ließ Theodor sich ins Schlafzimmer ziehen, wo das Mädchen sich erwartungsvoll vor ihm aufbaute.
Du hast Lust...? begann er tastend.
Ja, antwortete die Blonde lächelnd. Ich will, daß du es mir jetzt machst.
Theodor schluckte und entgegnete: Nun, das hat den Charme des Unmißverständlichen, was du da sagst.
Während sie seine Hose öffnete, mit der Hand darin umhertastete und sie dann herauszog, um in schelmischem, nicht wie Theodor befürchtet hatte, sarkastischem Ton »na, na« zu sagen, seine Hand ergriff und sie unter ihren Rock führte, wie um ihm zu beweisen, daß sie bereits ein ganzes Stück Wegs zurückgelegt hatte und er nicht zu sehr trödeln dürfe, sondern sich ein wenig sputen müsse, dachte Theodor an all das Betäubte und Betäubende, das mit träumerisch-verschämtem Blick die Realität Glättende, Verschönernde, Erhöhende, das geschlossener Augen Sehnende, das in süßen Zähren den Abstand Dehnende, das Religiös-Epiphanische, das in Warten und Bangen sich Erfüllende,
die aus Unsicherheit und Sinnlichkeit gemischte Religion der Verführung – mit einem Wort: an seine eigene Liebesphilosophie, die hier ad absurdum geführt wurde.
Der bange Verdacht beschlich ihn, daß Sternhart damals recht gehabt und auch die jungen Frauen es auf nichts als das rhythmische Gepfähltwerden abgesehen hatten. Mit herausfordernd ironischer Neugier warteten sie darauf, ob der Hund, der Männchen zu machen verstand, auch sein kleines Geschäftchen verrichten könne, um dann, war alles erledigt, herzlich und schamlos über das Vorgefallene zu lachen.
Warum möchtest du mir angehören? fragte Theodor. Erkläre es, fasse deine Lust in Worte, die sie mir verständlich machen und sie auf mich übertragen.
Ihr seid doch der Baron Neuhoff?
In der Tat.
Ich habe soviel von dir gehört: »Den verrückten Baron« nennen sie dich.
Du hast von mir reden hören?
Ja, überall in den Cafés.
Das ist etwas anderes, sagte Theodor. Dann will ich deine Neugier nicht länger auf die Folter spannen.
So wenig sie die Bastille ernst nahmen oder den König oder die
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