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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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und Weltverständnis noch von anderer Seite her erschüttert wurde, und zwar derart, daß er sich aus seiner eigenen Zeit verstoßen fühlte, und das ging gegen seine Würde.
    Alles hatte mit einem anonymen Manuskript begonnen, das in diesem Herbst vor seiner Drucklegung in den Pariser Cafés und Clubs zirkulierte und das Theodor zitternd, mit aufgerissenen Augen und aufgeblasenen Backen in seinem
Schlafzimmer in St. Mandé las. Die abgelegten Blätter übrigens studierte, nicht zum besten einer seinem Rang anstehenden seelischen und materiellen Genügsamkeit, auch Larbi, der bereits bei seiner Ankunft in Frankreich hatte lesen und schreiben können. Von Zeit zu Zeit hörte Theodor ihn durch die geschlossenen Türen prusten und sich auf die Schenkel schlagen.
    Eine Abschrift dieses Manuskripts war Theodor in einem der Cafés und Clubs überreicht worden, wo er seine freie Zeit zwischen finanziellen Eskapaden und politisch-gesellschaftlichen Kontakten verbrachte. Die Männer, die sich dafür begeisterten und darüber diskutierten, gehörten seiner eigenen Generation an, dachte er bestürzt, und waren doch von völlig anderer Art als die galanten, blasierten, spitzzüngigen, vergnügungssüchtigen Herrschaften, die er in Versailles gekannt hatte, deren Liebe nur sich selbst und dem alternden, dann uralten Monarchen galt und die er ganz automatisch für die Jugend an sich gehalten hatte.
    O wie Theodor jetzt spürte, daß man an einem Ort, an diesem hier, geblieben sein und die Triebe des Zeitalters selbst gepflegt haben muß, um seine ersten Blüten verstehen und schätzen zu können! Es herrschte ein Ton unter den jungen Leuten, es wurde ein Wort geführt, wie er es in dieser Impertinenz, in solch ätzendem Kritizismus nicht nur noch nie gehört, sondern gar nicht für möglich gehalten hätte.
    In gewisser Hinsicht waren die Männer, die er traf, Verwandte Sternharts, sie erklärten die Welt und die Verhältnisse aus einem erschreckend materialistischen Geist und zerrissen wie die Berserker die Spinnweben der Mysterien, die Theodor so teuer waren, da von niemandem erwartet werden konnte, durch ihren Schleier hindurch zu sehen, was genau dahinter lag.
    Ein wenig reserviert wie gegenüber allen Menschen, die so eindeutig eine Gruppe bilden, eine équipe , Menschen,
die gemeinsam gelernt haben und auf den starken Wurzeln ihres Wissens austreiben wie die Bäume im Frühjahr, lauschte er, wie ihre Worte einander ergänzten, und wurde auch dabei wieder an Sternhart erinnert, den Studiosus von damals mit den vor Erkenntnisdrang rotglühenden Ohren. Was mochte aus ihm geworden sein?
    Er erinnerte sich, wie Sternhart mit großen Augen und dem Quantum an Charme, das ihm möglich war, in einem Salon auf ihn zugekommen war, weil er ihn mißverständlicherweise für einen jungen adligen Mäzen hielt, einen Tölpel mit Geld, dem man für ein paar Brosamen Geist eine monatliche Unterstützung aus der Tasche leiern konnte. So nämlich hatte ihre Freundschaft begonnen, und geendet hatte sie mit einer diskreten Prüfung, die die Académie des Sciences anläßlich Sternharts Aufnahmegesuch anstellte, und bei der er, Theodor, als Bürge genannt von seinem Freund, in den Elogen über dessen Fähigkeiten ganz beiläufig auf sein Ketzertum zu sprechen kam – Sternhart war ja Protestant – und ihn damit jeglicher Chance beraubte, Mitglied der illustren Gesellschaft zu werden. Was nichts genutzt hatte gewissermaßen, wäre es ihm damals tatsächlich darum gegangen, den Freund klein zu halten, weil beinahe zur gleichen Zeit der Ruf der preußischen Akademie ertönte.
    Ja, diese Verwandten Sternharts verblüfften, beeindruckten, befremdeten Theodor. Woran lag es, daß diese Menschen so redeten, wie sie redeten, und jeglichen Respekt und alle Angst verloren zu haben schienen?
    War es die Rückkehr des Hofes nach Paris, die liberale Herrschaft des Regenten, der nach dem Tod des Sonnenkönigs von den Leibern und Seelen gehobene Sarkophagdeckel, waren es ganz einfach die Zeitläufte? Während Theodor vor den Drohungen seiner Gläubiger mit der Bastille wie vor einer Todesstrafe zitterte – mein Gott, alles, aber nicht die Hölle der Bastille! -, sah er mit an, wie diese
jungen Männer, Adelige und dritter Stand bunt gemischt, ohne gepuderte Zöpfe und in unifarbener billiger Kleidung, sich darüber lustig machten, wenn einer der ihren wieder einmal von einer Eskorte abgeholt und arretiert wurde.
    Arouet, der ehemalige Notariatsgehilfe, der

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