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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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gemacht. Eine Dame-School war ohnehin nicht dazu da, Herzens- oder Charakterbildung zu vermitteln.
    Howards Herz war fraglos weich geraten; dafür zeichnete sich sein Verstand durch Nüchternheit und Härte aus. Längst hatte er sich mit der Einsicht abgefunden, daß seine Zukunft nicht rosig sein würde. Wie seine älteren Brüder Samuel, Vernet und William wollte Howard Maler werden. Etwas anderes kam für ihn nicht in Frage. Maler sind Einzelgänger. Insofern paßte sich seine Leidenschaft seinem Charakter an.
    Andere hätten wohl unter dem Einzelgängerdasein gelitten und allein bei dem Gedanken Langeweile empfunden, ganze Nachmittage am dichtbewachsenen Ufer des River Nar zu verbringen, wo man flirrende Libellen beobachten konnte und Frösche, so groß wie eine Faust. Während er zeichnete und malte, blieb Howard viel Zeit zum Nachdenken. Er fühlte, seine Kindheit neigte sich dem Ende zu, das Erwachsensein begann.
    Eines Tages kündigte Howards Vater Samuel brieflich sein Kommen an, um nach dem Rechten zu sehen und mit dem Jüngsten über dessen Zukunft zu sprechen.
    Das Haus der Carters an der Straße nach Sporle, etwas außerhalb von Swaffham gelegen, sah nicht anders aus als tausend andere Häuser in der Gegend. Mißtrauisch, fast ängstlich versteckte es sich hinter üppigen Hecken, so daß es unmöglich war, einen Blick durch die vorhanglosen Sprossenfenster, wie sie hier an der Tagesordnung waren, zu erhaschen. Howards Mutter Martha, geborene Sands, Tochter eines Baumeisters am Ort, hatte den Besitz mit in die Ehe gebracht und hier alle elf Kinder geboren, was der Elfte jedoch allzugerne verschwieg. Er bezeichnete sich stets als Londoner, weil er die ersten Jahre seiner Kindheit bei den Eltern im Stadtteil Brompton verbracht hatte, einer Gegend, wo feine Leute lebten, wo es aber auch Mews gab, kleine Häuserreihen mit Werkstätten und Kramerläden zu ebener Erde.
    Fanny und Kate, Vaters Schwestern und einander wie aus dem Gesicht geschnitten, hatten Feiertagskleidung angelegt, lange dunkle Röcke und weiße Rüschenblusen. Sie nahmen zu beiden Seiten des Kamins Platz und sahen aus wie Porzellanhunde aus Chelsea oder Staffordshire, welche die Eingangshallen vornehmer Häuser bewachten. Dazu machten sie ein strenges Gesicht. Howard bereitete es Mühe, ernst zu bleiben, doch als er seinen Vater ansah, traf ihn eine düstere Vorahnung.
    Der Vater, ein bärtiger Mann mit wogendem grauen Haupthaar, war von der äußeren Erscheinung eher ein Philosophie-Professor aus Oxford als ein freischaffender Tiermaler, und keineswegs so alt wie er aussah. Er baute sich vor Howard mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf, als wollte er ein Donnerwetter auf seinen Jüngsten loslassen, begann dann aber zurückhaltend seine Rede: »Mein lieber Sohn Howard. Dein fünfzehnter Geburtstag liegt gerade eine Woche zurück, und ich habe das zum Anlaß genommen, über deine Zukunft nachzudenken.«
    Fanny und Kate, die ihrem Bruder mit großem Respekt begegneten, nickten beifällig wie zwei Nonnen beim Sonntagsspaziergang. Es schien, als kannten sie Samuel Carters Rede im voraus.
    »In deinem Alter«, fuhr Samuel Carter fort, »weiß man noch nicht, welchen Weg man einmal einschlagen will. Aber Tatsache ist, daß ich nicht ewig Kostgeld bezahlen kann. Wir gehen unsicheren Zeiten entgegen. Unsere Regierung will sogar Helgoland an die Deutschen verschachern. Das ist der Ausverkauf des britischen Empire.«
    Als habe Samuel Carter etwas ganz Furchtbares verkündet, schüttelten Fanny und Kate entrüstet die Köpfe.
    Schließlich nahm dieser seine Rede wieder auf: »Wohl dem, der in diesen Zeiten über ein festes Einkommen verfügt. Ich habe mich umgehört nach einer geeigneten Stelle für dich, aber alles war vergeblich. Ja, Grubenarbeiter in Mittelengland sind gesucht oder Eingeweideschneider in den Londoner Schlachthöfen für zwei Shilling die Woche oder Sackträger auf den Docks für ein Shilling Sixpence; aber das ist nichts für dich, Howard! Schließlich hörte ich mich in der Verwandtschaft um. Harold, ein Neffe deiner Mutter in Harwich, leitet das Zollkontor im Hafen. Er ist bereit, dich für zwei Shilling die Woche als Botengänger aufzunehmen bei freier Kost und Logis. Gewiß, das ist nicht viel und verspricht auf den ersten Blick auch nicht gerade eine erstrebenswerte Karriere. Aber Harold meint, du könntest dich im Laufe der Jahre durchaus bis zum Kontorvorsteher hocharbeiten. Ich habe zugesagt, daß du nach dem Ende

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