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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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des Schuljahres bei ihm antrittst.«
    »Als Botengänger«, stammelte Howard tonlos. Er fühlte sich wie gelähmt, unfähig, aufzuspringen und seinen Protest herauszuschreien, ja, Howard war nicht einmal in der Lage loszuheulen, obwohl ihm verdammt danach zumute war. Seine Wut gegen die Macht seines Vaters wuchs ins Unermeßliche. Botengänger für zwei Shilling die Woche! In Howards Kopf pochte es heftig: Nein, nein, nein!
    »Ich hoffe, du bist mit meiner Entscheidung einverstanden«, legte Samuel Carter nach. Es klang beinahe wie eine Entschuldigung, denn die Reaktion seines Sohnes blieb ihm nicht verborgen. »Nun sag schon etwas!«
    Howard starrte aus dem Fenster. Er schwieg. Es schien, als färbte sich im Osten der Abendhimmel rot. Im Osten? Howard erhob sich und öffnete das Fenster. »Es brennt«, rief er aufgeregt, »drüben in Sporle!« Dann stürmte er aus dem Haus.
    Das Dorf lag keine Meile entfernt, aber schon von weitem sah Howard den Rauch, der aus der Mitte der Häuserreihe aufstieg. Howard begann zu rennen. Er wußte selbst nicht, warum ihn das Feuer so anzog.
    Je näher er dem Brandherd kam, desto mehr Menschen begegnete er. »Feuer!« riefen sie wie berauscht und »Es brennt, es brennt!«
    In Sporle stand die Seilerei in Flammen, ein kleines weißgetünchtes Haus mit einem Dach, welches das niedrige Gebäude beinahe zu erdrücken schien. Aus dem Dach züngelten gelbe und bläuliche Flammen.
    Fasziniert betrachtete Howard das schaurige Schauspiel, beobachtete die Menschen, die scheinbar ziellos herumrannten und aufgeregt nach der Feuerspritze riefen. In das Geschrei mischten sich aus der Ferne die gellenden Glocken von St. Peter und Paul. Die Flammen wuchsen höher und höher. Und während er die Szene mit ängstlichem Blick verfolgte, nahm der Junge wahr, wie das Glas einer Dachluke zersprang.
    Zuerst dachte Howard, die Hitze des Feuers hätte das kleine Dachfenster zum Bersten gebracht, aber dann entdeckte er in der Fensteröffnung Hände mit einem Gegenstand und ein Gesicht, ja, er erkannte im Qualm die Züge eines Mädchens, das mit weit aufgerissenem Mund nach Luft schnappte. Das Mädchen rief nicht um Hilfe, es rang nur verzweifelt nach Luft. Howard blickte sich um, aber keiner schien das Mädchen in seiner Bedrängnis zu bemerken.
    Mut zählte gewiß nicht zu den hervorstechenden Eigenschaften des jungen Carter, aber in dieser unerwarteten Situation zeigte er plötzlich eine Verwegenheit, die ihn später, als alles vorbei war, selbst verwunderte.
    Während behelmte Feuerwehrmänner eine Feuerspritze, die inzwischen eingetroffen war, in Stellung brachten, entriß Howard einem Mann mit Augenklappe den Wassereimer, schüttete sich den Inhalt über den Kopf und stürmte, ohne zu überlegen und ohne daß ihn jemand zurückhalten konnte, in das brennende Gebäude.
    Es dauerte endlose Sekunden, bis Howard die Orientierung fand. Instinktiv verbarg er Mund und Nase in der nassen Armbeuge. Vorsichtig tastete er sich durch beißenden Qualm auf der schmalen Treppe empor, die gleich neben dem Eingang nach oben führte. Obwohl er nur Schemen erkennen konnte, hatte er die Richtung genau im Kopf, und so wandte er sich, auf dem Treppenabsatz angelangt, um und arbeitete sich, sorgsam einen Fuß vor den anderen setzend, in entgegengesetzter Richtung vor. Unerwartet prallte er mit dem Kopf gegen eine Wand und mußte seine schützende Armhaltung aufgeben, denn er brauchte beide Hände, um sich seitwärts fortzubewegen. Irgendwo hier mußte sich das Mädchen doch aufhalten. Howard bekam kaum noch Luft.
    In dem Zischen und Krachen vernahm Howard plötzlich ein keuchendes Husten. Hier mußte das Mädchen sein. »Hallo!« rief er, in gebückter Haltung weiterkriechend, »hallo, wo steckst du?« Keine Antwort.
    Carter merkte, je tiefer er den Kopf hielt, desto besser wurde die Luft zum Atmen. Schließlich kroch er auf allen vieren in die Richtung, aus der er das Lebenszeichen gehört hatte. So gut es ging, prägte er sich den Weg ein, den er wieder zurückfinden mußte. Plötzlich berührte seine rechte Hand ein Hindernis. Howard faßte nach, und von einer Sekunde zur anderen wurde seine Unsicherheit zur Gewißheit: Vor ihm lag das Mädchen auf dem Boden. Es schien bewußtlos zu sein.
    Irgendwie bekam er es an beiden Armen zu fassen. Mühsam richtete er sich auf und schleifte, sich rückwärts bewegend, den leblosen Körper in Richtung des Treppenabsatzes, so wie er sich den Weg eingeprägt hatte. Das erforderte

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