Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
Vom Netzwerk:
höchste Anstrengung, und Carter begann zu keuchen. Er hatte das Gefühl, seine Lungen würden jeden Augenblick platzen.
    Inzwischen hatte auch das Treppengeländer Feuer gefangen. Es schwelte vor sich hin und verbreitete beißenden Gestank. Howards Augen tränten und raubten ihm die letzte Orientierung, und es hätte nicht viel gefehlt und er wäre rückwärts über die Treppe gestürzt. Nur das Gewicht des am Boden liegenden Mädchens bewahrte ihn davor.
    Rücklings den leblosen Körper hinter sich herschleifend, arbeitete Carter sich vier, fünf Treppenstufen nach unten. Dann versuchte er, das Mädchen auf die Schulter zu nehmen; aber mit einem Mal kehrte Leben in das Mädchen zurück. In seiner Todesangst klammerte es sich an Howards durchnäßte Kleidung und ließ den Jungen nicht mehr los, bis beide hustend, schnaubend und spuckend den Eingang des Hauses erreicht hatten.
    Mit letzter Kraft zerrte Howard das Mädchen über seine Schultern. In gebückter Haltung schleifte er es ins Freie, wo inzwischen ein halbes Hundert Helfer den Kampf mit den Flammen aufgenommen hatten. Aus dem Schlauch der Feuerspritze prasselte ein mächtiger Wasserstrahl auf das Hausdach, welches bereits vollends in Flammen stand. Die Menschen rannten und riefen wild durcheinander, so daß kaum einer wahrnahm, wie der junge Carter plötzlich mit dem Mädchen auf dem Rücken im qualmenden Eingang des Hauses stand.
    Nur ein kräftiger Bursche aus Swaffham, den Howard vom Sehen her kannte, sprang, mit wilden Armbewegungen und lauter schreiend als alle anderen, auf Carter zu, nahm ihm das hustende Mädchen ab und trug es auf den Armen aus der Reichweite der Brandstelle, wobei er immer wieder ausrief: »Seht her, sie lebt!«
    Howard rang nach Luft und schleppte sich über die Straße bis zu einer Hauswand, wo ihn die Kräfte verließen und er ohnmächtig in sich zusammensank.
    Als er im Morgengrauen verrußt, zerlumpt und ausgelaugt nach Hause zurückkehrte, war sein Vater bereits abgereist. Fanny und Kate machten ihm Vorwürfe, es zieme sich nicht, seine Schaulust am Unglück anderer Menschen zu befriedigen. Die verdorbene Kleidung würden sie ihm vom Kostgeld abziehen.
    Das Haus des Seilers Hackleton konnte nicht mehr gerettet werden. Es brannte bis auf die Grundmauern nieder und bot noch lange Gesprächsstoff – nicht nur weil Hackleton und seine Frau sich bei Ausbruch des Feuers zwei Meilen entfernt, in Little Dunham aufgehalten hatten. Man erzählte sich, die rothaarige Frau des Seilers sei vom Teufel besessen. Aber noch mehr erregte die Menschen die Rettung von Jane Hackleton, der Seilerstochter, aus dem brennenden Haus.
    Die Zeitung brachte einen großen Artikel unter der Überschrift: »Robert Spink, der Held von Sporle.« Darin schilderte der junge Spink, Sohn eines Fabrikbesitzers aus Swaffham, wie er das Mädchen aus den Flammen gerettet habe.
    Als Howard davon erfuhr, erfaßte ihn eine unbändige Wut. Er hatte keine Dankbarkeit erwartet für seine Tat, erst recht keine öffentliche Anerkennung; aber daß ein anderer damit prahlte und sich als Retter des Mädchens ausgab, damit wollte er sich einfach nicht abfinden.
    Hätte er geahnt, daß die Erlebnisse jener Nacht Konsequenzen für sein ganzes Leben haben würden, Howard Carter hätte gewiß die Sache auf sich beruhen lassen. Aber das Leben geht seltsame Wege, und keiner ahnt, wohin sie letztendlich führen.
    Wem sollte er sich anvertrauen?
    Miss Jones, der Howard die ganze Geschichte schließlich erzählte, zeigte Verständnis für seine Situation, und sie gab Carter den Rat, er solle Robert Spink zur Rede stellen, andernfalls nage das erlittene Unrecht ein Leben lang an seiner Seele.
    Der Sohn des Fabrikbesitzers war in Swaffham bekannt für seine Überheblichkeit und Arroganz, mit der er den einfachen Leuten in der kleinen Stadt begegnete, und viele wunderten sich, daß ausgerechnet er zu einer so selbstlosen Heldentat fähig sein sollte. Für gewöhnlich prahlte er mit dem Geld seines Vaters und mit lateinischen Sätzen, die man ihm auf dem College in Cambridge beigebracht hatte. Howard wartete ein paar Tage, um dann bei dem jungen Spink vorstellig zu werden.
    Die Spinks lebten in einem Landhaus am westlichen Stadtrand auf einem parkähnlichen Grundstück mit riesigen Eichen und Koniferen, deren Äste sich beinahe bis auf den Rasen neigten. Vom Eingangstor aus weißgestrichenem Lattenwerk zum säulenumrahmten Hauseingang führte eine breite, gepflegte Auffahrt, die mit roten

Weitere Kostenlose Bücher