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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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es überleben. Wann, sagten Sie, wurde er von der Kobra gebissen?«
    »Ich sagte gar nichts«, erwiderte Petrie unwillig, »aber der Biß erfolgte vor etwa zwei Stunden. Meine Frau hat die Wunde ausgesaugt.«
    »Sie ist eben nach draußen gegangen.«
    Doktor Ghazal, einem Eingeborenen mit einer Drahtbrille, olivfarbener Haut und grauem Kraushaar, ging der Ruf voraus, die Schulmedizin, die er in London und Berlin studiert hatte, zu verachten. Statt dessen wußte er für jede Krankheit ein Kräutlein, und er war mit dieser Methode durchaus erfolgreich.
    Nachdem er Carters Augenlider hochgezogen und seine Pupillen eingehend begutachtet hatte, fingerte er eine kleine Phiole mit braungelbem Inhalt aus seiner Ledertasche. Energisch öffnete er Howards Mund, indem er Zeige- und Mittelfinger seiner linken Hand hineinschob und Carters Zunge herauszog. Mit der Rechten träufelte er den Inhalt des Glasröhrchens auf seine Zunge. Dann preßte er das Kinn gegen den Oberkiefer und wartete vergeblich auf eine Reaktion seines Patienten. Danach legte er einen Verband um die Wade.
    »Er hat phantasiert«, bemerkte Petrie, während er wie der Doktor auf Carters Gesicht starrte.
    »Das ist typisch in so einem Fall«, antwortete Ghazal.
    Zögernd fragte Flinders Petrie nach: »Würden Sie es auch als typisch bezeichnen, wenn der Patient Dinge von sich gibt, die er gar nicht wissen kann?«
    Doktor Ghazal rückte seine Drahtbrille zurecht und blickte Petrie von der Seite an. Ohne zu antworten, holte er einen Schreibblock aus der Tasche und begann etwas aufzuschreiben.
    Petrie wurde neugierig, und Newberry blickte ihm nicht weniger aufmerksam über die Schulter.
    Schließlich riß der Doktor einen Zettel ab und reichte ihn Petrie. In der Ansicht, Ghazal habe ihm, aus welchen Gründen auch immer, seine ungewöhnliche Frage schriftlich beantwortet, las Petrie gierig: »To regain one’s health – jemanden gesund gemacht. 50 Piasters oder 10 English Shillings.«
    Petrie verschwand sprachlos in sein Arbeitszimmer, wo er ein Regal beiseite rückte, unter dem ein Eisendeckel mit einem Schloß zum Vorschein kam. In den gestampften Boden eingelassen war eine Art Tresor, in dem der Ausgräber die Löhne für die Arbeiter aufbewahrte. Petrie entnahm 50 Piaster und rückte das Regal wieder an seinen alten Platz.
    Als er den Doktor mit dem Geldschein entlohnte, drehte Ghazal diesen angewidert um und fragte: »Sir, Sie sind Engländer, und der Patient ist ebenfalls englischer Herkunft. Können Sie mich nicht in englischer Währung bezahlen? Sie wissen doch, die ägyptischen Lappen sind kaum etwas wert.«
    »Nein«, log Petrie, dem das Problem durchaus bekannt war. »Sind Sie sicher, daß Sie den Patienten geheilt haben?«
    Ghazal blickte beleidigt über den Rand seiner Brille. »Damit habe ich schon Tote ins Leben zurückgeholt. In spätestens einer Stunde springt der junge Mann wieder über jeden Stein.« Als der Doktor Petries ungläubiges Gesicht sah, fuhr er fort: »Ein Geheimmittel aus eigener Herstellung. Ich gewinne es aus Pferdeblut.«
    »Aus Pferdeblut?«
    Der eigenwillige Doktor nickte. »Ich habe da einen Gaul, der ist beinahe zwanzig Jahre alt. Ihm würden zehn Kobra-Bisse auf einmal nichts ausmachen. Und wissen Sie, warum? – Er ist immun gegen das Gift. Seit seinem fünften Lebensjahr habe ich dem Gaul das Schlangengift in winzigen Dosen gespritzt. Und das Pferd reagierte, indem es in seinem Blut ein Gegengift bildete. Inzwischen ist das Gegengift so stark, daß es in winziger Dosierung auf den Menschen wirkt. Übrigens, was meinten Sie, als Sie sagten, der Patient habe Dinge von sich gegeben, die er gar nicht wissen kann?«
    Petrie warf Newberry einen fragenden Blick zu, ob er sich dem Doktor wirklich anvertrauen solle, dann erklärte er umständlich: »Nun ja, ich würde es ja nicht glauben, hätte ich es nicht mit eigenen Ohren gehört. In seinen Phantasien begann Carter plötzlich die Sonnenhymne des Pharaos Echnaton zu deklamieren.«
    »Fieberphantasien sind nicht ungewöhnlich bei Schlangenbissen, Sir. Das Gift verursacht Bewußtseinsstörungen.«
    »Das mag schon sein, Doktor. Nur, Carter redete zusammenhängende Sätze eines Textes, von dem wir bisher nur Hieroglyphenbruchstücke gefunden haben. Und der Junge beherrscht die Hieroglyphen nicht einmal.«
    »Das ist in der Tat merkwürdig!« Doktor Ghazal hob die Schultern. »Inschallah – wenn es Gott gefällt. Sie sollten ihn auf jeden Fall danach fragen, wenn er wieder zu sich

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