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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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war zu jener Zeit noch Wüste – nicht nur was seine Bodenbeschaffenheit betraf, auch die historische Bedeutung der Gegend lag verschüttet unter Sand und Gestein. Bruchstücke von Kalkstein und beschriebene Tonscherben, vor allem aber die steinernen Grenzpfähle, welche die Grenzen der Stadt markierten, legten die Vermutung nahe, daß hier mehr als 1360 Jahre vor der Zeitenwende ein Pharao namens Echnaton mit seiner Königin Nofretete Hofhielt.
    Carter verfolgte Petrie auf Schritt und Tritt. Er war fasziniert vom Wissen dieses Mannes, aber beinahe noch mehr bewunderte er Petries Vorstellungsvermögen, die Art und Weise, wie er aus einem scheinbar wertlosen Tonscherben, den die Arbeiter aus dem Sand bargen, beeindruckende Schlüsse zog.
    Eines Nachts, er konnte wegen der drückenden Hitze keinen Schlaf finden, schlich Howard aus dem Grabungshaus zu einem abgezäunten Areal, keine fünfzig Schritte entfernt. Der Mond hing wie eine diffuse, gelbe Scheibe über dem Flußtal. Aus der Ferne drang Hundegebell, und von den Felshängen hörte man das Gurren der schwarzen Vögel, die bei Tag über der Ebene kreisten.
    In dem Gehege, dessen Gatter offenstand, bewahrte Petrie über dreihundert Fundstücke auf, die kleinsten gerade handtellergroß, die größten sechzig bis neunzig Zentimeter im Durchmesser. Keiner dieser Bruchsteine stellte eine Kostbarkeit dar, die es gelohnt hätte zu entwenden, aber jedes einzelne Objekt trug einen winzigen Hinweis auf die Geschichte dieses Landstrichs. Das jedenfalls behauptete Flinders Petrie.
    Nur mit einer Hose bekleidet, wanderte Carter durch die Reihen der Gesteinsreste. Hier und da tauchte ein in den Stein gehauenes Gesicht auf, eine Hand oder Gliedmaßen, seltsam in die Länge gezogen wie die Figuren in einem Spiegelkabinett. Auf einem Steinblock, der auf der Vorderseite eine Sonnenscheibe zeigte, von welcher strahlenförmige Hände ausgingen, ließ Howard sich nieder. Da vernahm er Schritte im Sand. »Sir!« grüßte Howard höflich. Es war Petrie. »Sie können wohl auch nicht schlafen, Sir?«
    Petrie nickte geistesabwesend und ließ den Blick über die Steinsammlung schweifen. »Der Mensch verbringt ohnehin viel zu viel Zeit im Schlaf«, meinte er schließlich und nahm neben Carter Platz. »Habe ich recht, Mr. Carter, es gefällt Ihnen hier nicht besonders?«
    »Ich bitte Sie, Sir!« tat Howard entrüstet, »wie kommen Sie zu ihrer Behauptung?«
    »Mein Freund, ich habe doch Augen im Kopf. Mir können Sie nichts vormachen. Im übrigen mache ich Ihnen keinen Vorwurf, Carter, Sie wären nicht der erste und nicht der einzige, der nach einem Jahr Ausgräberdasein aufgibt. Das ist keine Schande. Im günstigsten Fall ist es die Einsicht, daß man für diesen Beruf nicht geschaffen ist.«
    Howards Herz schlug unruhig. Petries Worte klangen, als wollte er ihn in den nächsten Tagen nach England zurückbeordern. Das machte ihn zornig. Zornig vor allem deshalb, weil er es als Demütigung empfunden hätte, wenn Petrie ihn zurückschickte.
    Deshalb antwortete Carter in etwas rüdem Ton: »Sir, Sie sollten nicht vergessen, warum ich für Lord Amherst nach Ägypten gekommen bin.«
    Flinders Petrie winkte ab. »Lord Amherst ist ein Phantast. Mit Verlaub und in der Annahme, daß uns niemand belauscht: er ist ein Spinner. Nur weil seine überkandidelte Tochter geweissagt hat, irgendwo in diesem Land liege ein Jahrtausendschatz verborgen, muß es noch lange nicht stimmen. Wenn Amherst von den seherischen Fähigkeiten seiner Tochter überzeugt ist, soll er sie fragen, wo er suchen soll. Alles andere ist Humbug.«
    Carter holte tief Luft und blickte zum Himmel. »Zu dieser Erkenntnis bin ich auch gelangt, Sir. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, hier den Schatz zu finden, auf den Lord Amherst hofft, Gold und Edelsteine und andere Kostbarkeiten.«
    »Ach, wissen Sie, Carter«, begann Petrie mit einer ausholenden Armbewegung, »die wahren Schätze sind diese Steine, kostbarer als alles Gold. Ich werde diese Steine zum Reden bringen. Ich werde mit diesen Steinen Geschichte machen.«
    »Sir, wie meinen Sie das?«
    »Nun, wir wissen über diesen Pharao Echnaton so gut wie gar nichts. Die offiziellen Königslisten verschweigen seinen Namen, als hätte es ihn nie gegeben.«
    »Was macht Sie so sicher, daß dieser Pharao Echnaton wirklich existiert hat?«
    Petrie bückte sich und hob eine kleine Steinplatte auf. Im fahlen Mondlicht war das Oval eines Königsrings mit zahlreichen Hieroglyphen zu erkennen.

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