Der König von Luxor
nach Luft. Dabei flüsterte sie: »Ich liebe dich, Howard, ich liebe dich mehr als alles auf der Welt. Die Zeit wird kommen, da du das alles begreifen wirst. Behalte mich in guter Erinnerung.«
Mit Getöse setzte sich der Zug in Bewegung. Die Zurückbleibenden, vor allem Fanny und Kate, riefen aufgeregt durcheinander und mahnten Carter zur Eile. Da riß sich Howard los, ja, er empfand den Augenblick, als würde sein Innerstes in zwei Teile zerrissen. Mit einer raschen Bewegung steckte Sarah ihm ein schmales, handtellergroßes Päckchen in die Jackentasche.
»Leb wohl!« rief er mit ausgestrecktem Arm, während er mit dem anderen gerade noch die Türe des Waggons zu fassen bekam. Howard gebrauchte den Ärmel, um sich Regen und Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Er hatte kein Auge für die übrige Gesellschaft, die Tücher schwenkend auf dem Bahnsteig zurückblieb. Howard sah nur den grünen Fleck, der langsam kleiner wurde, bis er schließlich in seinen Tränen zerrann.
Carters heftiger Abschied von Miss Jones ließ die Menschen auf dem Bahnsteig verwirrt zurück. Fanny und Kate murmelten Unverständliches. Unwillig schüttelten sie die Köpfe und warfen Miss Jones, die noch immer regungslos dastand, mißtrauische Blick zu. Auch Lord Amherst schien überrascht. Doch seine Verwunderung legte sich schnell, weil seine Gedanken von der Idee gefangen waren, einen Jahrtausendschatz zu entdecken.
Allmählich zerstreute sich die Gesellschaft. Nur Sarah Jones blickte noch immer in die Richtung, wo der Zug in der Ferne verschwunden war. Der Regen hatte ihre Kleidung bis auf die Haut durchnäßt; doch Sarah schenkte dem keine Beachtung. Die äußeren Umstände entsprachen dem Zustand ihrer Seele.
Sarah wußte nicht, wie ihr geschah, als der Regen plötzlich abbrach. Sie wandte sich um. Vor ihr stand Lady Margaret und hielt ihren Schirm schützend über sie.
»Ich kann nachfühlen, wie Ihnen zumute ist«, sagte die Lady teilnahmsvoll.
Miss Jones zog ein Spitzentaschentuch hervor und versuchte ihr Gesicht zu trocknen. Dabei gab sie sich den Anschein großer Gefaßtheit. Als ihr jedoch Lady Margaret das Tuch aus der Hand nahm, um Sarahs Tränen zu trocknen, brach sie in Schluchzen aus, und sie rief leise: »Ich habe ihn wirklich geliebt!«
Lady Margaret legte einen Arm um Sarahs Schulter und drängte sie behutsam zum Ausgang. »Ich verstehe Sie ja, Miss Jones«, sagte sie mit gedämpfter Stimme, »aber glauben Sie mir, so ist es für alle das Beste.«
Die Zeiger der Bahnhofsuhr zeigten 11 Uhr 54. Auf dem Bahnhof kehrte wieder Ruhe ein. Mr. Killroy zog sich in seine Amtsstube zurück.
Z WEITES B UCH
K APITEL 13
Ü
ber dem Niltal hing eine undurchsichtige, graugelbe Glocke aus feinem Sandstaub und stickiger Luft. Man konnte die Sonne nur ahnen, wenn sie frühmorgens und gegen Abend helle Schwaden in das triste Einerlei zeichnete.
Es war heiß, so heiß, daß selbst alte Fellachen, die ihre Köpfe in Tücher hüllten und nur einen schmalen Sehschlitz freiließen, sich nicht an solche Temperaturen erinnern konnten. In dem halbkreisförmigen Talkessel von Tell el-Amarna, halbwegs zwischen Luxor und Kairo gelegen, wo der Nil am Rande eines Gebirges einen langgestreckten Bogen beschreibt und an seinem Ufer ein frisches Wadi gedeihen läßt, lag heller Pulversand in der Luft. Es roch nach Staub und glühenden Steinen. Man wagte kaum zu atmen.
Howard Carter hatte sich bis auf eine zerschlissene Hose, deren Beine an den Knien ausgefranst waren, seiner Kleider entledigt, und seine dunklen Haare trugen ein übriges dazu bei, daß man ihn kaum von den Einheimischen Grabungsarbeitern unterscheiden konnte. Hinzu kam, daß er in dem halben Jahr seit seiner Ankunft in Ägypten erstaunlich schnell Arabisch gelernt hatte, jedenfalls so viel, um sich mit den Fellachen, die sie als Grabungsarbeiter angeworben hatten, verständigen zu können. Das verschaffte ihm gegenüber den zahlreichen anderen Ausgräbern, die das Niltal zwischen Giseh und Assuan bevölkerten und die sich nur mit Hilfe eines Dragoman, eines Dolmetschers, verständigen konnten, eine besondere Stellung und gewisse Beliebtheit.
Das Ausgräberdasein hatte sich Carter ganz anders vorgestellt. Weniger anstrengend und etwas komfortabler, vor allem von mehr Erfolg gekrönt.
Die Arbeit begann frühmorgens bei Sonnenaufgang, wenn die Hitze noch erträglich war, und endete gegen Mittag. Carter blieb es nicht erspart, selbst zu Schaufel und Hacke zu
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