Der König von Luxor
»Das hier«, erwiderte Petrie und fuhr mit dem Zeigefinger den steinernen Ring nach, »die Hieroglyphen bedeuten nichts anderes als Echnaton. Und der Ring weist darauf hin, daß es sich dabei um einen König handelt.«
»Aber es muß doch einen Grund geben, warum gerade dieser Pharao von der alten Geschichtsschreibung verheimlicht wurde!«
»Ja natürlich!« antwortete Petrie lachend. »Es gibt viele Beispiele in der Geschichte, wo Ähnliches geschah. Denken Sie nur an die Kirchenspaltung im 14. Jahrhundert, als es zwei Päpste gab und einer den anderen ignorierte und bemüht war, seinen Namen auszulöschen.«
»Also gab es damals zwei Könige, die den Namen Pharao für sich beanspruchten?«
»Das wäre durchaus denkbar. Ich glaube es aber nicht. Nach meiner Überzeugung beging Pharao Echnaton einen unverzeihlichen Frevel. Er schaffte die tierköpfigen Götter ab und behauptete, es gebe nur einen Gott: Aton, die Sonne.«
Petrie legte den Stein an seinen Platz zurück und hob einen anderen auf. »Sehen Sie, hier, diese Scheibe ist das Symbol für den einzigen Gott Aton. Das war natürlich etwas Ungeheueres. Stellen Sie sich vor, Ihre Majestät, Queen Victoria, würde plötzlich verkünden, der Gott, an den ihr bisher geglaubt habt, existiert überhaupt nicht. Er war nur eine Ausgeburt eurer Phantasie. Der neue Gott ist die Sonne. Ab heute sind Gebete nur noch an diese Adresse zu richten, und alle Pfarrer sind ihrer Ämter enthoben.«
»Ich glaube, unsere Queen stünde ziemlich allein da.«
»Echnaton ging es nicht anders. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich in der Mitte zwischen den Hauptstädten des Alten und des Neuen Reiches anzusiedeln, hier in Amarna. Er muß eine starke Persönlichkeit gewesen sein, denn Echnaton veränderte so ziemlich alles, was den Ägyptern bis dahin bedeutsam war: nicht nur die Religion, auch die Kunst, sogar die Dichtung. Es muß ein Schock für die Menschen gewesen sein, als der Pharao, der bisher als Gott galt, auf Wandtafeln Einblick in sein Privatleben gab. Sehen Sie den Steinblock dort drüben, Mr. Carter? Was sehen Sie?«
»Ein Liebespaar, Sir. Zwei, die sich küssen.«
»Ganz recht. Eine ähnliche Darstellung finden Sie in der ganzen ägyptischen Geschichte nicht mehr: Der Pharao liebkost seine Frau Nofretete in aller Öffentlichkeit!«
»Die beiden müssen sich sehr geliebt haben.«
»Scheint so. Da gibt es nur ein Problem. Auf manchen Scherben, die wir ausgegraben haben, wird Nofretete als Ehefrau Echnatons bezeichnet, auf anderen ist sie die Gemahlin Amenophis’ IV.«
»Wo ist das Problem, Sir? Der eine starb. Der andere heiratete die Witwe.«
»Möglich, aber falsch; denn beide Männer führten denselben Thronnamen, und mit beiden Männern hatte Nofretete dieselben Kinder.«
»Das läßt nur einen Schluß zu«, ereiferte sich Carter, »Amenophis und Echnaton sind ein und dieselbe Person, und diese Person hat irgendwann den Namen gewechselt wie zum Beispiel Lord Cromer, der früher Evelyn Baring hieß. Habe ich recht, Sir?«
»Sie begreifen schneller als mancher meiner Kollegen, Mr. Carter. Bisher stehe ich nämlich mit meiner Theorie ziemlich allein da. Die meisten glauben mir nicht. Dabei habe ich handfeste Beweise. Ich fand eine Reihe Vorratskrüge, die mit Jahreszahlen zwischen 1 und 17 und dem Namen des Pharaos beschriftet waren. Wie Sie wissen, datierten die alten Ägypter die Zeit nicht nach fortlaufenden Jahren. Dazu fehlte ihnen die Bezugszahl, wie bei uns Christi Geburt. Die Ägypter begannen bei jedem Regierungsantritt eines Pharaos wieder bei 1. Das macht die Geschichtsschreibung im nachhinein nicht gerade einfach.«
Carter dachte nach. In der Ferne vernahm man ein seltsames Brummen, nicht unähnlich einem Gewittergrollen, wie er es von zu Hause in Norfolk kannte. Er blickte irritiert nach allen Seiten, aber außer ein paar fliegenden Heuschrecken, die verloren durch die Nacht schwirrten, konnte Howard nichts wahrnehmen. Schließlich sagte er: »Daraus könnte man den Beweis erbringen, daß Amenophis und Echnaton ein und derselbe sind.«
Flinders Petrie sah Howard von der Seite an und erwiderte: »Mr. Carter, Sie hätten das Zeug zum Archäologen. In Ihnen steckt mehr als ein Schatzsucher. Was Sie sagen, ist vollkommen richtig, und Ihre Schlußfolgerung entspricht exakt dem Ergebnis meiner Forschungen. Die Zahlenangaben für Amenophis beginnen mit 1. und enden im 5. Jahr seiner Regentschaft. Vom 6. bis 17. Jahr ist auf allen Inschriften nur
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