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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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noch von Echnaton die Rede.«
    »Dann ist das Rätsel von Amarna also gelöst?« rief Howard halblaut.
    Petrie lachte. »Ein Rätsel, mein lieber Carter, ein einziges Rätsel! Hier an meinem Finger steckt schon das nächste!« Er hielt seine rechte Hand mit gespreizten Fingern vor Carters Gesicht. An seinem Ringfinger steckte ein breiter Ring aus Gold. Einer seiner Arbeiter hatte ihn vor wenigen Wochen im Schutt entdeckt. Seither trug Petrie den Ring an seiner rechten Hand.
    »Sehen Sie«, sagte er und zeigte mit der Linken auf den Ring, »hier haben wir es unter Umständen mit dem gleichen Problem zu tun. Auf dem Ring ist ein Königsname eingraviert. Er lautet: Tut-ench-Aton, was soviel heißt wie: Vollkommen an Leben ist Aton. Ich glaube, dieser Tut-ench-Aton war ein Sohn Echnatons.«
    »Mit Verlaub, Sir, wo ist das Problem?«
    »Ein paar hundert Kilometer nilaufwärts, im Tal der Könige, haben Ausgräber Schmuckstücke und Täfelchen mit dem Namen Tut-ench-Amun gefunden, was nichts anderes heißt als: Vollkommen an Leben ist Amun.«
    »Wenn ich das richtig zu deuten vermag«, kombinierte Carter, »dann machte dieser Pharao Echnaton die Revolution wieder rückgängig!«
    »Gut gedacht«, erklärte Petrie, »aber so einfach ist die Sache leider nicht. Während wir von Echnaton dort oben auf den Felsklippen ein – wenn auch ausgeraubtes – Grab entdeckt haben, hat dieser Tut-ench-Amun oder Tut-ench-Aton keine weiteren Spuren hinterlassen. Und da sein Name auch in den Königslisten nicht aufgeführt wird, darf man zweifeln, ob es einen Pharao dieses Namens überhaupt gegeben hat. Alle Pharaonengräber im Tal der Könige sind gefunden, und hier« – Petrie hob den Arm und machte eine kreisende Bewegung – »hier gibt es auch kein Pharaonengrab mehr zu entdecken. Glauben Sie mir.«
    Howard, der immer noch auf dem Stein saß, zog sein linkes Bein hoch und stützte das Kinn auf sein Knie, während er das Schienbein mit beiden Händen umfaßte. Er starrte auf die Steine, welche Petrie wie Figuren eines Schachbretts in strenger Geometrie aufgereiht hatte. Nach einer Weile fragte er gedankenverloren: »Wie, sagten Sie, ist der Name dieses rätselhaften Pharaos?«
    »Tut-ench-Aton. Vollkommen an Leben ist Aton.«
    »Und er war ein Sohn Echnatons und Nofretetes?«
    »Das ist so gut wie sicher. Warum fragen Sie, Mr. Carter?«
    »Ich mache mir nur meine Gedanken, Sir. Eigentlich gibt es doch nur zwei Möglichkeiten. Es gab diesen Tut-ench-Aton wirklich, oder es gab ihn nicht. Gab es ihn nicht, so stellt sich die Frage, was hat die Menschen damals veranlaßt, einem Phantom diesen Namen zu geben. Existierte der Pharao aber wirklich, so muß er doch mehr Spuren hinterlassen haben als einen Ring und ein paar Täfelchen.«
    In der Dunkelheit bemerkte Carter nicht, daß Flinders Petrie schmunzelte. Petrie schmunzelte, weil er merkte, welche Begeisterung er in dem jungen Ausgräber geweckt hatte. »Manchmal«, meinte er schließlich und blickte geradeaus in Richtung des Nils, »manchmal fühle ich mich trotz meiner vierzig Jahre alt wie ein Greis. Sie, Carter, haben noch das Feuer, das ein Mann braucht, um eine schier unlösbare Aufgabe zu erledigen. Warum suchen nicht Sie nach dem gottverdammten Tut-ench-Aton? Sie sind jung und haben Ihr Leben noch vor sich. Aber täuschen Sie sich nicht, Sie werden Ihr ganzes Leben brauchen, um diesen vergessenen Pharao zu finden.«
    Howard traute seinen Ohren nicht. Er zweifelte, ob Petrie seine Worte ernst meinte. Machte er sich etwa über ihn lustig?
    Der zog sich schließlich wieder ins Grabungshaus zurück.
    Es ging auf vier Uhr morgens zu, und Carter überlegte, ob er sich überhaupt noch niederlegen sollte; die Hitze war immer noch zu groß. Deshalb zog er es vor, nilwärts zu schlendern. Über den Bergen im Osten graute der Tag, und von Norden her hörte man die ersten Hähne krähen.
    An der Stelle, wo der sandige Wüstenboden in die fruchtbare Ebene überging, wo wie durch ein Wunder plötzlich Palmen und Büsche wuchsen, hielt Howard inne. Aus dem Dämmerlicht löste sich eine kleine, schmale Gestalt, beinahe ein Kind. Sie kam gerade auf ihn zu. Zehn Schritte entfernt blieb sie stehen. Howard erkannte ein dunkelhäutiges Mädchen. Es hatte einen groben Sack mit einer Schnur um die Hüften gebunden. Sein Oberkörper war nackt.
    Eine Weile standen sich die beiden schweigend gegenüber, Howard ratlos, das Mädchen lauernd.
    »Was suchst du hier?« fragte Carter in seinem bescheidenen

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