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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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waren rar, und so begannen Carter und Newberry, den Türverschlag mit alten Kleidungsstücken zu vernageln.
    In der Zwischenzeit klatschten immer mehr Heuschrecken vom Himmel. Trunken oder ermattet vom weiten Flug über die leblose Wüste, prallten die Tiere gegen alles, was ihnen im Wege stand. Zappelnd und zuckend blieben sie auf dem Boden liegen. Das Rumoren am Himmel wurde immer lauter. Und obwohl der Talkessel vom beginnenden Tag eben noch erhellt worden war, senkte sich erneut Dämmerung über Tell el-Amarna.
    Selima schleppte weitere Bruchsteine herbei und lud sie vor der Türe ab. Sie zitterte.
    »Hast du Angst?« fragte Carter.
    Selima hielt die Augen gesenkt. Offenbar schämte sie sich, ihre Angst einzugestehen.
    »Du hast so etwas schon einmal mitgemacht?« erkundigte sich Howard vorsichtig.
    Selima nickte stumm. Schließlich sah sie Carter an und sagte: »Es war schrecklich, Effendi. Selima kann es nicht beschreiben.«
    »Verdammt, wo bleibt Petrie?« rief Newberry, der vor der Türe stand und in die Richtung blickte, in der der Ausgräber verschwunden war. Es schien, als kehrte die Nacht zurück. Das Brummen und Summen verwandelte sich zu einem widerwärtigen Schnarren und Dröhnen. Ganze Knäuel braungrüner Insekten fielen flirrend vom Himmel. Andere flogen in Schwaden und zeichneten bizarre Linien in die stickige Luft.
    Howard stieß das Mädchen ins Haus und schloß von außen die Türe. Wie Pfeilgeschosse klatschten die Heuschrecken gegen seinen Körper. Schützend hielt er die Hand über die Augen. Die Sicht betrug kaum fünfzehn Meter.
    »Ich gehe Petrie entgegen!« schrie Carter zu Newberry. Der stand keine drei Meter entfernt, aber gegen das tausendfache Summen und Brummen konnte man sich nur schreiend verständlich machen.
    Newberry wollte etwas erwidern. Aber noch ehe es dazu kam, sah er, wie Carter einen Stock zwischen die Beine nahm und, während er sich durch das flirrende Inferno kämpfte, einen Strich in den sandigen Boden zog.
    »Mister Petrie! Mister Petrie!« rief Howard in den brodelnden, dröhnenden Hexenkessel. »Hierher, Mister Petrie! Hierher!« Er spie und spuckte, weil ihm beim Rufen Heuschrecken in den Mund flogen. Trotzdem wiederholte er sein Rufen.
    Als Kind, wenn Fanny oder Kate ihm aus dem Alten Testament über die ägyptischen Plagen vorgelesen hatten, hatte er sich oft vorgestellt, wie das gewesen sein mochte mit den Heuschreckenschwärmen, die über das Land herfielen. Jetzt mußte er erkennen, daß diese Plage alle seine Vorstellungen weit übertraf.
    »Mister Petrie! Hierher!« rief er noch einmal und trug sich schon mit dem Gedanken umzukehren, als plötzlich die beiden Petries vor ihm auftauchten. Mrs. Petrie schien völlig entkräftet. Sie umklammerte mit beiden Händen Petries linken Arm und schluchzte. Petrie gab sich den Anschein, als sei er Herr der Lage, und rief: »Kommen Sie, Carter, hier entlang!«
    »Unsinn!« brüllte Carter und zeigte auf den unregelmäßigen Strich im Sand. Er lief in die entgegengesetzte Richtung. Howard wußte, wie rechthaberisch Petrie sein konnte. Deshalb packte er Mrs. Petrie und zerrte sie mit sich fort, ohne auf Flinders Petrie zu achten.
    Die Frau hinter sich herziehend, ließ Carter den Strich auf dem Boden nicht aus den Augen. Manchmal blieb er stehen, unsicher, welche Richtung die Sandspur nahm. Dann wedelte er mit den Armen, um die Heuschrecken in die Flucht zu schlagen und bessere Sicht zu haben. Mit dem Stock tastend, setzte er seinen Weg fort. Er war sicher, daß Petrie ihnen folgte.
    Inzwischen herrschte beinahe finstere Nacht, und es wurde immer mühevoller, die Spur zu erkennen. Howard bekam Zweifel, ob er nicht doch sein Ziel verfehlt hatte. In hilfloser Wut gebrauchte er seinen Stock und schlug damit um sich. Dabei traf er ein paar der flirrenden Insekten. Sie stürzten tot zu Boden. »Newberry!« rief er so laut er konnte und spuckte die Heuschrecke aus, welche ihm dabei zwischen die Zähne geraten war. »Newberry!«
    Es war zwecklos, auf eine Antwort zu warten. Dazu war das Dröhnen der tollwütigen Heuschrecken zu stark. Für einen Augenblick konnte Carter plötzlich die Richtung seiner in den Sand gezeichneten Spur erkennen.
    »Wir sind auf dem richtigen Weg!« wandte er sich zu Mrs. Petrie um. »Kommen Sie!«
    Mit Genugtuung stellte Howard fest, daß Petrie an der Hand seiner Frau hinter ihnen hertrottete. Carter war am Ende seiner Kräfte. Vor allem die Unsicherheit, ob er sich nicht geirrt hatte, ob sie nicht

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