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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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ausgelacht!«
    »Das stimmt, Sir«, bemerkte Newberry, »auch ich hätte ein solches Ereignis nicht für möglich gehalten. Wir können dem Mädchen nur dankbar sein, daß es uns gewarnt hat. Ich weiß nicht, wie es hier aussehen würde, wenn wir uns nicht verbarrikadiert hätten. Wie lange kann das noch dauern?«
    »Ich weiß es auch nicht«, brummte Flinders Petrie unwillig, »ich weiß nur, daß das Alte Testament durch ein solches Ereignis mit einem Mal ein ganz anderes Gewicht erhält.«
    »Sie denken an die Ägyptischen Plagen?« fragte Newberry.
    »Ja, in der Tat. Ich denke an die Ägyptischen Plagen.«
    Darauf meinte Hilda Petrie spöttisch: »Flinders, du wirst doch nicht etwa auf deine alten Tage fromm werden!«
    Petrie warf seiner Frau einen mißbilligenden Blick zu. »Mit Frömmigkeit, meine Liebe, hat das nichts zu tun. Eher mit Geschichtsschreibung. Die Tatsache, daß sich ein biblisches Ereignis in unserer Zeit wiederholt, beweist nur, daß das Alte Testament auf historischen Fakten beruht.« Und an Newberry gewandt: »Ich frage Sie, Mr. Newberry, ist es nicht lachhaft? Da graben Heerscharen von Archäologen mühsam nach jedem Wort der Bibel, und dann verfinstert sich plötzlich der Himmel, und die Natur beschert uns das gleiche Schauspiel, wie es im Alten Testament beschrieben ist!« Petrie schüttelte den Kopf.
    »Wenn ich mir die Frage erlauben darf, Sir«, begann Newberry, der Petrie aufmerksam gefolgt war, »wie soll ich Ihre Worte verstehen, das Alte Testament habe mit Frömmigkeit nichts zu tun?«
    »Nun ja, das ist doch ganz einfach: Wenn Sie an diesem oder jenem zweifeln, wovon im Alten Testament die Rede ist, dann sind Sie ein Wissenschaftler; zweifeln Sie aber an diesem oder jenem im Neuen Testament, dann sind Sie ein Ketzer. Jedenfalls in den Augen der Kirche.«
    Newberry lachte höflich.
    Inzwischen hatte sich Selima auf dem blanken Boden zum Schlafen gelegt. Sie schlief tief und fest, ja es schien, als fühlte sich das nubische Mädchen wohlbehütet in seiner neuen Umgebung.
    »Wer weiß, was sie durchgemacht hat in den letzten Tagen«, bemerkte Carter. »Man sollte die Sklaventreiber zur Anzeige bringen.«
    »Das steht Ihnen frei, Mr. Carter«, antwortete Petrie. »Doch Sie sind noch nicht lange genug in Ägypten, um den Erfolg einer solchen Anzeige einschätzen zu können. Wissen Sie, Mr. Carter, dieses Land wird nicht von den Engländern regiert, schon gar nicht vom Khediven, in diesem Land gibt es nur eine Macht, und die heißt Bakschisch. Bakschisch hier, Bakschisch dort, Bakschisch für jede Gefälligkeit und Bakschisch, wenn es darum geht, das Unmögliche möglich zu machen. Ohne Bakschisch könnte ich hier meiner Arbeit nicht nachgehen. Ich glaube, das erste Wort, das ein ägyptisches Baby sagt, ist nicht Mama oder Papa, sondern Bakschisch. Natürlich können Sie sich auf die Gesetze des Landes berufen und beim Mudir von Minia Anklage erheben. Aber ich bin sicher, die Sache wird mit Unterstützung eines anständigen Bakschisch der Beschuldigten im Sande verlaufen.«
    »Mir tut das Mädchen leid«, erwiderte Howard.
    Flinders Petrie hob die Schultern. »Mitleid ist ein Wort, das man nicht kennt in diesem Land, Mr. Carter. Daran sollten Sie immer denken. Und wenn die Sklaverei zehnmal abgeschafft ist, ich bin überzeugt, es wird sie noch in hundert Jahren geben. Erinnerst du dich, Hilda, als wir auf dem Bahnhof in Kairo ankamen, trat uns ein wohlgenährter, dicker Mann in einer blütenweißen Galabija entgegen und bot uns zwei Esel und drei Sklaven an. Die Esel waren teurer als die Sklaven. Nubische Sklaven sind im übrigen die billigsten. Sie haben meist Plattfüße und schlechte Zähne und finden in der Hauptsache beim Wäschewaschen und im Küchendienst Verwendung. Übrigens – nach dem Gesetz steht ihnen nach sieben Jahren Arbeit die Freiheit zu.«
    »Wie großzügig!« bemerkte Carter.
    Und Newberry erwiderte: »Du vergißt, wir sind im Orient.«
    »Ganz recht, Mr. Newberry, wir sind allzuleicht geneigt, bei der Beurteilung ägyptischer Sitten und Gebräuche englische Maßstäbe anzulegen. Das ist falsch, ja sogar gefährlich, weil wir dabei das Glück dieser Menschen außer acht lassen. Das Glück eines Ägypters ist ein ganz anderes als das Glück eines Engländers. Was mich betrifft, so macht mich ein Grabungsfund glücklich, während ich einem Hundert-Piaster-Schein gleichgültig gegenüberstehe. Einen Fellachen machen hundert Piaster glücklich, während er einem

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