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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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wurden immer mehr.
    »Mister Carter!« rief Hilda Petrie aus dem Hintergrund. »Das Ofenrohr in der Küche!«
    Gemeinsam begaben sich Newberry und Carter in den Küchenraum. Aus dem offenen gemauerten Herd, der ein einfaches Eisenrohr als Rauchabzug hatte, krochen überall Heuschrecken hervor.
    »Mein Gott!« rief Newberry. »Wie sollen wir dieser Menge Herr werden?«
    »Das Ofenrohr zustopfen!« erwiderte Carter, ohne lange zu überlegen. »Aber dazu müssen wir das Rohr aus dem Mauerwerk reißen, und bei dieser Gelegenheit fallen noch mehr über uns her.«
    »Wir müssen Feuer machen«, meinte Newberry, »Insekten scheuen den Rauch.«
    »Gute Idee!« Carter knüllte das Papier einer alten Times zusammen und entzündete es an seiner Petroleumlampe. Das brennende Papier schob er in die Feuerstelle, dann legte er, um die Flammen am Brennen zu halten, getrocknete Kuhfladen und Kamelmist nach, mit denen Mrs. Petrie nach Art der Fellachen ihren Herd schürte. Das von Mist und Heuschrecken genährte Feuer qualmte und stank ekelerregend, aber es blieb nicht ohne Wirkung. Der Zustrom versiegte. Mit Handtüchern bewaffnet, machten sich Carter und Newberry daran, die übrigen Heuschrecken, die noch immer das Innere des Hauses bevölkerten, zu erschlagen.
    Bisher hatte Howard an Heuschrecken nichts Ekelerregendes gefunden – im Gegenteil. Bei seinen Streifzügen in Castle Acre hatte er besonders schöne Exemplare gezeichnet. Aber nun in der Masse empfand er Abscheu vor den Tieren. Ihr millionenfaches Auftreten machte ihm sogar angst. Er fürchtete, die Tiere könnten ihn zudecken und unter einer meterhohen Schicht ihrer Körper begraben.
    Es gab keine Waschgelegenheit im Innern des Hauses, aber in der Küche stand ein altes Holzfaß mit Wasser. Mit Hilfe eines Wurzelbesens versuchte Carter, die klebrigen Relikte auf seinem Körper wenigstens oberflächlich zu entfernen. Dann begab er sich zu den anderen in den Aufenthaltsraum.
    Flinders Petrie saß völlig verängstigt in seinem Lehnstuhl, während Mrs. Petrie sich von ihrem Schrecken erholt zu haben schien. Newberry klopfte nervös mit den Fingern auf die Polsterung der Ottomane. Selima befand sich noch immer an der gleichen Stelle, auf dem Fußboden, und starrte vor sich hin.
    Zum ersten Mal bot sich Howard Gelegenheit, das Mädchen näher zu betrachten. Seine dunkle Haut war von matter Farbe. Die langgestreckten Arme und Beine verrieten, daß es zweifellos viel jünger war, als es beim ersten Hinsehen schien. Kaum älter als fünfzehn oder sechzehn. Ihr Kopf mit dem kurzen schwarzen Kraushaar hatte ein edles Profil, wozu ihre hohe Stirn und die leichte Krümmung ihrer Nase beitrugen. Ihr fehlten die wulstigen Lippen, die für gewöhnlich nubischen Frauen zu eigen sind. Selimas Brüste – sie trug noch immer nur einen Fetzen Sackleinen um die Hüften – waren klein, rund und fest.
    Mrs. Petrie mußte wohl Howards musternde Blicke bemerkt haben, denn sie erhob sich und verschwand. Kurz darauf kehrte sie mit einem verwaschenen Kittel zurück. Den warf sie Selima zu. »Da, zieh das an!« meinte sie und versuchte dabei zu lächeln. Selima kam der Aufforderung nach und nickte zum Dank mehrmals mit dem Kopf.
    So saßen sie lange schweigend in der Runde. Jedesmal, wenn das Brummen und Dröhnen für ein paar Sekunden schwächer wurde, hoben alle die Köpfe in der Erwartung, daß es ganz versiege. Aber schon im nächsten Augenblick begann der unerträgliche Lärm von neuem.
    Es war längst Nachmittag, und Mrs. Petrie, die wie die anderen tatenlos vor sich hindöste, sagte, während sie in die flackernde Flamme der Petroleumlampe starrte: »Das Mädchen hatte recht. Am Nilufer ankert eine Dahabija mit Sklavinnen an Bord. Es war ein schrecklicher Anblick. Sie haben die Mädchen bis zum Hals in Säcke gesteckt und zugeschnürt. Sie können sich nicht bewegen. Ich hätte nicht geglaubt, daß es so etwas noch gibt.«
    Selima schien zu bemerken, daß das Gespräch um sie ging, denn sie warf Howard einen hilflosen Blick zu. Der beruhigte sie und berichtete, daß die Frau des Ausgräbers nur ihre Aussage bestätigte.
    »Selima sagt Wahrheit!« radebrechte das Mädchen und nickte mit dem Kopf.
    »Deine Neugierde«, meinte Flinders Petrie an seine Frau gewandt, »hätte uns das Leben kosten können.«
    Da brauste Hilda Petrie auf: »Konnte ich ahnen, was da auf uns zukam? Hätte gestern jemand gesagt, heute würden Millionen von Heuschrecken über uns herfallen, man hätte ihn

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