Der König von Luxor
unvollendeten oder unbedeutenden Gräber gibt es in dieser Gegend zuhauf. Es hätte genügt, irgendwann einmal nachzusehen, was sich dahinter verbirgt. Die Aussicht auf eine größere Entdeckung war eher gering oder sagen wir gleich null.«
Howard schüttelte den Kopf, er schüttelte ihn heftig, als wollte er das alles nicht wahrhaben. »Sie haben mich in mein Unglück rennen lassen!« klagte er verbittert.
»Was heißt Unglück, Mr. Carter! Alle großen Karrieren begannen mit einer Niederlage. Merken Sie sich das. Mir erging es nicht anders.«
»Das hier ist mehr als eine Niederlage. Ich bin erledigt.«
»Ach was. Sie haben nur den Mund etwas zu voll genommen. Wer so jung an Jahren ist wie Sie, Carter, darf das. Kommen Sie, wir gehen jetzt raus und erklären den Leuten, was geschehen ist. Oder besser, was nicht geschehen ist.«
»Niemals«, beharrte Carter, »ich bleibe hier.«
Naville sah Howard lange an, und je länger er ihn musterte, desto mehr wuchs in ihm die Erkenntnis, daß der junge Mann es ernst meinte. »Sind Sie einverstanden, wenn ich die Leute nach Hause schicke, Mr. Carter? Es ist Ihre Veranstaltung. Sie müssen entscheiden.«
Howard gab keine Antwort. Er starrte vor sich hin ins Leere.
»Carter«, wiederholte Naville, »soll ich die Leute nach Hause schicken?«
»Machen Sie, was sie wollen!« rief Howard.
Naville verschwand durch das Mauerloch.
Aus der Ferne vernahm Carter die Stimme Navilles; aber er verstand nicht, was er sagte. Er hörte nur, daß plötzlich lautes Geschrei ausbrach. Hämisches Gelächter drang an sein Ohr. Rufe wurden laut: »Der Pharao, der Pharao!« Am liebsten hätte Howard das Mauerloch von innen zugemauert. Wie er sich schämte!
Nach etwa einer Stunde, nachdem der Lärm von draußen etwas abgeebbt war, erschien in der Maueröffnung ein Schatten, und Carter vernahm eine Stimme: »Howard, ich bin es, Elizabeth. Seien Sie doch nicht kindisch. Kommen Sie heraus!«
Howard schwieg. Ausgerechnet Lady Elizabeth! Mußte sie ihm das antun? Mußte sie ihn so demütigen? Er wollte allein sein, niemanden sehen, niemanden hören, ungesehen bleiben.
»Warum lassen Sie mich nicht in Ruhe!« brüllte Carter, ohne sich von seinem Platz in der Ecke zu erheben.
Da entfernte sich der Schatten, und allmählich wurde es still. Howard wußte nicht, wie lange er vor sich hingestarrt hatte. Die Petroleumlampe war längst erloschen. Nur durch das Mauerloch fiel ein schwacher Lichtschein. Krampfhaft versuchte er, Ordnung in das Chaos seiner Gedanken zu bringen, sich einen Plan zurechtzulegen, wie er einer noch größeren Blamage entgehen konnte.
Von den Wänden der Grabkammer tönte ein bitteres Lachen. Es war sein eigenes, weil er daran dachte, wie Sarah Jones einmal gesagt hatte, sie wäre stolz, wenn er eines Tages als ein berühmter Ausgräber nach Swaffham zurückkehrte. Ein berühmter Ausgräber? Ein berühmter Versager! Wie grausam das Leben sein konnte.
Gegen Abend, ja es mußte schon Abend sein, weil kaum noch Licht durch das Mauerloch drang, wagte sich Howard zum ersten Mal in die Nähe der Öffnung. Er schnappte nach Luft wie ein sterbender Fisch, und einen Augenblick dachte er sogar daran, sein freiwilliges Gefängnis zu verlassen. Aber dann glaubte er Stimmen zu hören, und er tastete sich zurück in seine Ecke, wo er bereits den ganzen Tag verbracht hatte. Dort fühlte er sich sicher, sicher vor Hohn und Spott und vor Mitleid, der unliebsamsten aller Gefühlsbezeugungen.
Allmählich wurde die Stille, die ihn wie ein unsichtbarer Mantel einhüllte, unheimlich. Manchmal war ihm, als hörte er Mäuse huschen oder Käfer krabbeln, oder er glaubte, dünne Sandrinnsale rieseln zu hören. Morgen, dachte er, würde er sein Versteck verlassen – als wenn ein Tag seine Situation veränderte. Zu Naville wollte er gehen, um seine Entlassung bitten und zurückkehren nach England. Darüber schlief er ein.
K APITEL 18
Das Quietschen der Räder riß Howard aus dem Schlaf. Ermüdet von der langen Reise – er hatte seit fünf Tagen kaum geschlafen –, war er, nachdem die Eisenbahn Dover verlassen hatte, eingenickt. Endlich kam der Zug zum Stehen.
»London, Victoria Station; London, Victoria Station!« rief ein Uniformierter mit kräftiger Stimme.
Carter empfand den heimischen Tonfall als angenehm. Und auch die vornehme Zurückhaltung, mit der die Reisenden ausstiegen, erfüllte ihn mit Genugtuung. England hatte ihn wieder. In einem Telegramm hatte Howard seine Mutter
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