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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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etwa einer Stunde hörte man aus dem Schacht eine Stimme: »Carter Effendi, Carter Effendi!«
    Howard, der gerade noch damit beschäftigt war, die Zuschauer hinter die Absperrung zu drängen, verschwand in der Tiefe. Wie gebannt starrten die Menschen auf die oberste Stufe, wo jeden Augenblick sein Kopf wieder erscheinen mußte. Die Gäste erhoben sich von den Stühlen. Eine Frau in der ersten Reihe sank ohnmächtig zu Boden, worauf eine zweite, die sich bis zu diesem Augenblick durch einen nicht enden wollenden Redeschwall ausgezeichnet hatte, ihre Fäuste gegen die Stirn preßte und rief: »Der Pharao, der Pharao!«
    Von der Schachtsohle drangen erneut heftige Schläge herauf. Als sie abrupt abbrachen, machte sich im weiten Rund andächtige Stille breit. Plötzlich tauchte Carter auf. »Ich brauche Licht!« rief er aufgeregt, ohne von den Umstehenden Notiz zu nehmen.
    Zwei Männer entzündeten die bereitstehenden Petroleumlampen. Carter nahm zwei mit in die Tiefe.
    »Der Pharao, der Pharao!« rief die redselige Dame – es war die Ehefrau des französischen Konsuls –, und sie wand sich, als wäre sie in den Wehen.
    Die Absperrung um den Schacht drohte zusammenzubrechen, und die Hilfskräfte hatten alle Mühe, die aufgeregten Besucher vom Schachtrand zurückzuhalten. Dem Mudir aus Kena, einem kleinen, rundlichen Mann in einem elegant geschnittenen grauen Anzug, stand der Schweiß auf der Stirn. Erregt sprang er auf, stieß seine Leibwächter, die sofort zur Stelle waren, zur Seite und rief, während er sich mit verschränkten Armen an der obersten Stufe des Schachtes postierte: »Ich bin der Mudir, ich habe das Recht, als erster einen Blick auf die Schätze des Pharaos zu werfen.«
    Das aber versetzte den Nasir von Luxor in Wut. Er war ebenso kleinwüchsig wie der Mudir, aber eher schmächtig. Nun plusterte er sich auf wie ein Pfau, und mit Zornesröte im Gesicht stürzte er sich auf den Mudir, der bekanntermaßen nicht zu seinen Freunden zählte, und machte ihm deutlich, daß er, der Mudir, hier überhaupt nichts zu sagen habe. Ein heftiges Wort gab das andere, der Disput wurde zum Handgemenge und setzte sich schließlich unter den Leibwächtern fort, bis der Polizeivorsteher Hamdi-Bey, der plötzlich unter den Zuschauern auftauchte, zweimal hintereinander mit kräftiger Stimme rief: »Ruhe, oder ich lasse euch alle festnehmen!« Darauf zogen sich die Streithähne zurück. Es wurde wieder still, unheimlich still.
    Als nach einer Viertelstunde noch immer nichts passiert war, machte sich unter den geladenen Gästen Unruhe breit. Der Kulturminister erhob sich und verschwand in dem Schacht. Nach wenigen Augenblicken kehrte er zurück und verkündete, was er gesehen hatte:
    »Ein Loch in der Mauer, so groß, daß ein Mann bequem hineinschlüpfen kann. Wir müssen Geduld haben.«
    »Und Carter? Was macht Carter?«
    Der Kulturminister hob die Schultern. »Sie müssen Geduld haben, Ladys und Gentlemen.«
    Eine halbe Stunde mochte vergangen sein, die Unruhe wuchs und drohte zum Tumult auszuarten, da erschien Edouard Naville mit ernstem Gesicht. Seine starre Haltung schien der besonderen Lage angemessen. Er blieb stumm.
    Ohne ein Wort zu sagen, ließ er sich eine Petroleumlampe reichen; dann stieg er in den Schacht hinab. »Mr. Carter!« rief er leise und leuchtete in das Mauerloch, »Mr. Carter?«
    Als er keine Antwort bekam, zwängte er sich durch die Öffnung. Es dauerte eine Weile, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann hob er die Lampe über den Kopf.
    Vor ihm tat sich ein Raum auf, zwanzig Schritte in der Länge, kaum zehn Schritte breit, gerade so hoch, daß man mit ausgestrecktem Arm die Decke berühren konnte. Die Wände waren roh aus dem Fels geschlagen. Es gab keine Türe, keinen Durchgang, der in einen weiteren Raum führte. Es roch nach Staub. Eine Lampe auf dem Boden verbreitete diffuses Licht.
    »Carter?« rief Naville in die Dämmerung. »Verdammt, wo sind Sie?«
    Naville leuchtete die nackten Wände ab: keine Verzierung, keine Malerei, nichts, nur roher Fels. Das Grab war leer.
    Was er bisher in der linken hinteren Ecke für einen Steinblock gehalten hatte, geriet plötzlich in Bewegung. »Carter!« rief Naville erschreckt.
    Howard kauerte in der Ecke, die Unterarme auf den Knien, die Stirn auf die Unterarme gepreßt.
    »Es tut mir leid«, sagte Naville leise.
    Carter hob den Kopf. Seine Augen waren gerötet. »Sie haben das alles geahnt. Habe ich recht?«
    Naville nickte. »Solche

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