Der König von Luxor
Augen brannten wie Feuer.
Leila!, schoß es plötzlich durch seinen Kopf, so als habe sich sein Verstand zurückgemeldet. »Leila!« brüllte Howard, so laut er konnte, gegen den Donner an. »Leila!« Ohne Orientierung tastete er sich in die Richtung, wo er den Ausgang vermutete, als vor ihm ein Steinblock zu Boden krachte und zerbarst. Mit der Wucht eines Geschosses traf ihn ein Splitterstein am rechten Schenkel. Blut verfärbte seine Hose. »Leila!« rief Howard mit zitternder Stimme.
Unerwartet plötzlich ebbte der Donner ab, und es wurde unheimlich still. Hustend und prustend wiederholte Carter seinen Ruf: »Leila?«
Es dauerte endlos lange, bis sich die riesige Staubwolke verflüchtigt hatte. Von ferne hörte man aufgeregte Rufe. Als Howard endlich in der Lage war, sich zu orientieren, hatte er nur einen Gedanken: Du mußt hier raus, so schnell wie möglich!
Linker Hand lag der Eingang. Hastig kletterte er über herabgestürzte Steinquader und Gesteinsbrocken, als er plötzlich auf Leila stieß, die mit verrenkten Gliedmaßen auf dem steinigen Boden lag. Ihr Haarzopf lag neben ihrem Kopf wie eine dunkle Schlange. Sie hatte die Augen geöffnet.
»Leila!« rief Carter atemlos, während er sich neben sie kniete. Dann ergriff er ihre leblose Hand. »Bist du verletzt?« fragte er leise.
Leila quälte sich ein Lächeln ab, doch sie antwortete nicht.
»Kannst du mich hören?« Howards Stimme wurde lauter. Von seinem Oberschenkel tropfte Blut auf den steinigen Boden. Plötzlich überfiel ihn panische Angst. Leila brauchte Hilfe. Behutsam schob er seine rechte Hand unter ihren Kopf, um sie aufzurichten. Da sah er das Blut an ihrem Hinterkopf. Ein herabstürzender Stein hatte ihren Schädel zertrümmert. Verzweifelt versuchte Howard ihren Körper mit seinem Brustkorb abzustützen. »Leila!« schluchzte er vor sich hin, ratlos, was zu tun sei.
In diesem Augenblick öffnete Leila die Lippen, als wollte sie etwas sagen; aber ihre Bewegung erstarrte, und ein Blutschwall ergoß sich aus ihrem Mund.
Howard stieß einen furchtbaren Schrei aus. Die Frau in seinen Armen war tot.
K APITEL 21
Ganz Ägypten betrauerte den Tod der gefeierten Tänzerin. Dabei stellte sich heraus, daß Leila weit mehr Gönner gehabt hatte als nur den Aga Ayat. Der brach in Tränen aus, als ihm ein Bote die Nachricht von Leilas Ableben überbrachte, und rief: »Wie konnte sie mir das antun, wo ich so viel Geld in sie investiert habe.«
Zwei andere Verehrer, der eine ein reicher Kaufmann aus Bulak, der andere ein Scheich im Alter von neunzig Jahren, faßten den Entschluß, Leilas begehrten Körper mumifizieren zu lassen wie den eines Pharaos und ihr auf den Klippen von Der-el-Bahari ein Mausoleum zu errichten.
Drei Tage irrte Howard Carter verstört durch die Wüstentäler am jenseitigen Flußufer, unfähig, das Geschehene zu begreifen. Er schoß auf die Fratzen, die vor ihm in dem Felsengestein auftauchten, und wer versuchte, mit ihm ins Gespräch zu kommen, den schickte er unverrichteter Dinge fort.
Howard war überzeugt, daß der Einsturz der Säulen in Karnak ein Anschlag war, der ihm gegolten hatte. Dreitausend Jahre hatten die Kolosse ihre Balance bewahrt, manchem Erdbeben getrotzt, bis zu diesem 3. Oktober 1899, als er, Howard Carter, mit Leila den Tempel betrat.
Sieben Tage vergingen, bis Carter sich wieder nach Karnak wagte. Dabei machte er eine schicksalhafte Entdeckung. Das Fundament der ersten von elf umgestürzten Säulen war zur Hälfte abgegraben. Man konnte deutlich erkennen, daß sich der Säulenschaft zur einen Seite hin abgesenkt und eine Kettenreaktion ausgelöst hatte. Es bedurfte nur einer kleinen Hilfestellung, und das Inferno nahm seinen Lauf. Unter den geborstenen Säulen fand Howard Teilstücke eines Seils. Keine Frage, dieser hinterhältige Anschlag trug Ayats Handschrift.
Bei der Rückkehr in sein Haus bei Dra abu el-Naga wurde Howard von einem stämmigen Mann in sportlicher Kleidung erwartet.
»Mr. Carter? Mein Name ist James Quibell.«
»Ja, und?« erwiderte Carter verwirrt.
»Es ist mir äußerst unangenehm«, begann der Fremde umständlich, »aber ich wurde beauftragt, Ihnen dieses Schreiben der Altertümerverwaltung zu überreichen.«
Carter nahm den Brief entgegen und las. Gaston Maspero, der neue Direktor für die ägyptischen Altertümer, beschuldigte ihn, in Karnak seine Aufsichtspflicht verletzt zu haben, und entließ ihn mit sofortiger Wirkung.
Quibell hob die Schultern. »Tut mir
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