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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Ausgräber. Und wieder einmal überlegte er, ob es nicht besser wäre, die Suche endlich einzustellen, um sich die unausweichliche Blamage zu ersparen.
    Über diesen Gedanken war es Abend geworden, und Carter begab sich in sein Haus auf dem sandigen Hügel. Obwohl er über elektrisches Licht verfügte, zog er es vor, zeitig zu Bett zu gehen. Er war ein Frühaufsteher. Für gewöhnlich schlief er tief und fest – aber in dieser Nacht erwachte er – ganz gegen seine Gewohnheiten – gegen eins. Ihm war es, als hätte jemand in der Ferne seinen Namen gerufen.
    Ein Traum, dachte er, der nicht selten träumte, und versuchte aufs neue Schlaf zu finden. Doch das mißlang. Statt dessen wiederholte der ferne Rufer seinen Namen. Verwirrt preßte Howard sein Kissen über den Kopf, um dem Hirngespinst zu entgehen. Aber alles half nichts. »Carter! Carter!« hallte es in seinem Kopf.
    Da erhob er sich, warf sich flüchtig ein paar Kleider über und machte sich, eine Karbidlampe in der Hand, die zischend einen blassen Lichtkegel verbreitete, auf den Weg ins Tal der Könige. Nicht zum ersten Mal suchte er diesen Weg bei Nacht, doch dieses Mal schien alles anders. Als stünde er unter einem Zwang, als triebe ihn ein Sturm vor sich her, hetzte Carter im Laufschritt den Pfad entlang, ohne Ahnung, was er zur Nachtzeit dort eigentlich suchte.
    Wieder vernahm er den fernen Ruf, dieses Mal lauter als alle bisherigen Male. Howard wunderte sich: Obwohl die Stimme laut seinen Namen rief und obwohl es so still war, daß er seinen Atem hören konnte, verursachte der Ruf kein Echo.
    An der Stelle, wo die Trampelpfade im Tal wie die Fäden eines Spinnennetzes auseinandergingen, blieb Carter stehen, stellte seine Lampe auf den Boden und lauschte in die Nacht. Klar und deutlich vernahm er den Ruf: »Carter! Carter!«
    »Ja?« erwiderte er zögernd.
    »Carter! Carter!«
    Howard hielt seine Lampe hoch, aber der Lichtschein war zu schwach, um die Felswände zu erleuchten.
    »Tut-ench-Amun, bist du es?« Carter lauschte atemlos. »Tut-ench-Amun, gib mir ein Zeichen!«
    Nichts geschah. Nur ein Stein löste sich aus der Felswand und landete klatschend auf einer Geröllhalde.
    Ein Zeichen?
    »Tut-ench-Amun!« rief Howard, und sein Ruf hallte von den Felswänden.
    Eine Antwort blieb aus. In der Ferne bellte ein Hund. Stille, unendliche Stille.
    Mit dem Schuhabsatz zog Carter einen Strich in den Sand, genau in der Richtung, wo der Stein zu Boden gefallen war. Vertieft in Gedanken, machte er sich auf den Heimweg.
    Bei Tageslicht suchte er nach dem Strich, den er nachts gezogen hatte, aber so sehr er auch suchte, er fand ihn nicht, obwohl ihm die Stelle bekannt war. Er wollte nicht ausschließen, daß er einem Wahn zum Opfer gefallen war, und so nahm er sich vor, in der folgenden Nacht wieder auf die Stimme zu lauschen.
    Howard ließ eine Nachtlampe brennen. Sie sollte verhindern, daß er einschlief. Bisweilen, dachte er, während er im Halbschlaf vor sich hin döste, ist Einsamkeit ein großes Glück. Aber wie das Glück, so zerstört auch das Alleinsein die Seele, sobald es überhandnimmt.
    »Carter!« Er mußte wohl eingeschlafen sein; denn plötzlich schreckte er hoch. Da war er wieder, der Ruf, unheimlich, als käme er nicht aus der Ferne, sondern aus dem Inneren der Erde. »Carter!«
    So wie er war, im Pyjama, trat Howard vor die Türe, riß Augen und Mund weit auf und lauschte angespannt in die Dunkelheit. Schließlich kniete er nieder und preßte sein rechtes Ohr, mit dem er besser hörte als mit dem linken, auf den Boden. Er dachte wohl, daß der Ruf sich im felsigen Erdreich fortpflanzte wie das Summen in den Drähten der Telegraphenmasten.
    Als auch dieser Lauschangriff erfolglos und die Nacht ruhig blieb, ging Carter wieder in sein Haus zurück, um sich schlafen zu legen. Kaum hatte er Ruhe gefunden, erschreckte ihn erneut der Ruf: »Carter! Carter!« Diesmal so nahe, als stünde der Rufer vor der Tür.
    »Ja?« rief er eingeschüchtert. »Pharao Tut-ench-Amun, bist du’s?«
    Er hatte kaum ausgeredet, da erschrak er über sich selbst. Warum begann er mit Tut-ench-Amun zu sprechen? Wurde er verrückt? Gewiß, er hatte in den letzten Monaten viel über Tut-ench-Amun gelesen, er hatte Theorien aufgestellt und wieder verworfen, wer dieser vergessene Pharao überhaupt war und wo er warum begraben sein mußte. Danach mußte er sich fragen, ob er noch Herr seiner Sinne war?
    Wieder schien die Stimme ihn zu rufen, und ohne Rücksicht auf seine

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