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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Nachtkleidung und mit nackten Füßen lief er ins Freie, den Sandhügel hinab und weiter ins Tal der Könige. Der Pharao ruft dich, hämmerte es in seinem Kopf. Tut-ench-Amun ruft dich.
    Als habe man ihn dort hinbestellt, machte Carter an der Wegspinne halt wie in der Nacht zuvor. Wieder lauschte er, doch dieses Mal blieb alles ruhig – mindestens eine Stunde, so lange verharrte er an dem Ort. Erst als er zu frösteln begann, als ihn der Sand zwischen seinen Zehen daran erinnerte, daß er ohne Schuhe und im Pyjama unterwegs war, fand Howard in die Wirklichkeit zurück, und er wandte sich heimwärts.
    Der Rückweg war eine Qual. Anders als vorher, als er den Weg schmerzlos im Lauf zurückgelegt hatte, schmerzte nun jeder Schritt. Messerscharf bohrten sich die kantigen Bruchsteine in sein Fleisch. Carter begriff nicht, warum er vorher nichts davon gemerkt hatte.
    Endlich zu Hause angelangt, stellte er fest, daß seine Füße blutig waren, und gegen morgen setzte heftiges Fieber ein. Beides zusammen war die Ursache dafür, daß er das Bett nicht verlassen konnte, bald fühlte er sich dem Tod näher als dem Leben. Jedenfalls begann er, der eher an den Teufel glaubte als an Gott, zu beten. Howard betete, der Pharao möge ihn nicht eher zu sich rufen, bis er sein Grab endlich gefunden habe, nicht merkend, daß dies die falsche Adresse war.
    Gemeinhin wird behauptet, Fieber verursache Alpträume und phantastische Vorstellungen, doch was Carters Zustand betraf, bewirkte es eher das Gegenteil. Denn während ihm der Schweiß von der Stirn und dem ganzen Körper perlte, während sein Atem sich in ein unangenehmes Röcheln verwandelte, wurden seine Gedanken klar wie das Wasser in einem Gebirgsbach. Auch vernahm er fiebernd keine Stimme, die seinen Namen rief, so daß er allmählich in Zweifel geriet, welcher Zustand der gesunde war. Sieben Tage später ließ das Fieber nach, und Carter sah sich in der Lage, das Bett zu verlassen. Kaum konnte er wieder gehen, führte ihn sein erster Weg auf immer noch schmerzenden Füßen ins Tal der Könige – an jene Stelle, die er zweimal des Nachts aufgesucht hatte.
    Inzwischen war ihm klargeworden, daß dies kein Zufall gewesen sein konnte, daß sich hinter dem wiederkehrenden Ereignis vielmehr der Fingerzeig einer geheimnisvollen Macht verbarg, an eben dieser Stelle nach dem Grab des Pharaos zu suchen. Ein Vergleich mit der Karte, auf der Carter alle Erdtrichter eingezeichnet hatte, ergab: An genau dieser Stelle unter der Wegkreuzung hatte noch niemand gegraben.
    Als er frühmorgens an der genannten Stelle ankam, machte er eine unerklärliche Entdeckung: Der Strich, den er am ersten Abend mit dem Absatz in den Sand gezeichnet hatte und der tags darauf ausgelöscht gewesen war, war auf einmal wieder da. Deutlich erkennbar zeigte er in südwestlicher Richtung auf die Felswand. Und als Howard in die Richtung blickte, sah er oben auf den Klippen eine Gestalt, die, kaum hatte er sie entdeckt, hastig verschwand.
    Trotz schmerzender Füße rannte Carter den schmalen Saumpfad hoch, der auf der anderen Seite hinab nach Der-el-Bahari führt. Seit Wochen war ihm hier niemand mehr begegnet. Wer trieb sich in aller Frühe dort oben herum?
    Oben angelangt, schlich Howard vorsichtig bis an den Klippenrand. Die zerfurchten Felsspalten boten hervorragenden Schutz, sich zu verstecken. Da plötzlich trat ein Mann hinter einer Felsnarbe hervor.
    »Spink!« rief Carter entsetzt. »Ich dachte, ich hätte den Teufel gesehen. Aber groß ist der Unterschied ohnehin nicht. Warum bist du nicht im Krieg und kämpfst für England?«
    »Tja, warum wohl.« Spink setzte sein breites Grinsen auf. »Eigentlich verdanke ich es dir, daß mir der Krieg erspart bleibt.« Dabei deutete er auf sein verkrüppeltes Bein, das ihn beim Gehen behinderte. »Und du? Bist wohl zu feige, he?«
    Die wenigen Worte genügten, um die alte Feindschaft wieder aufbrechen zu lassen. Carter und Spink haßten sich seit ihrer ersten Begegnung in Swaffham, und es schien vorbestimmt, daß dieser Haß nicht eher enden würde, bis einer den anderen beseitigt hatte. Während sie sich am Rande der Felswand gegenüberstanden, dachten beide das gleiche; aber keiner wagte den ersten Schritt zu tun. Wie zwei Gladiatoren starrten sie sich an. Und plötzlich beschlich Carter eine seltsame Angst. Es war nicht die Angst, von Spink über die Klippen geschleudert zu werden, es war die Angst, er selbst könnte Spink vom Fels in den Abgrund stoßen und so zum

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