Der König von Luxor
schnellstem Weg nach England begeben. Sie, Carter, halten hier die Stellung, bis der Spuk vorüber ist. Ich kann mich doch auf Sie verlassen?«
»Selbstverständlich, Mylord. Ich werde von hier aus das Tal der Könige bewachen, als wäre dort die Bank von England.«
Tags darauf trat Lord Carnarvon die Heimreise an, ein nicht ungefährliches Unternehmen. Zwar hatte sich Italien zu Beginn des Krieges für neutral erklärt, aber das Mittelmeer war zum Kriegsschauplatz geworden.
Noch herrschte in Ägypten gespenstische Ruhe, und viele, vor allem die Ägypter selbst, glaubten, der große Krieg würde an ihnen vorübergehen. Doch diese Hoffnung blieb ein Traum. Das Land am Nil wurde seit geraumer Zeit von Großbritannien beherrscht, und Lord Kitchener, der britische Generalkonsul, war Ägyptens heimlicher Herrscher. Der Khedive von des türkischen Sultans Gnaden hatte nicht viel zu sagen. Kaum hatten Rußland, Frankreich und England der Türkei den Krieg erklärt, da wurde Ägypten von den Engländern annektiert. Für einen Engländer wie Howard Carter, dem es ohnehin nicht an Feinden mangelte, war es in diesen Tagen nicht ungefährlich, sich auf den Straßen von Luxor zu zeigen.
Howard hatte nicht die geringste Vorstellung, was Krieg bedeutete. Für ihn war Krieg eine Angelegenheit von Titel- und Uniformträgern, die Streitigkeiten unter sich ausmachten. Im übrigen haßte er Uniformen seit Kindertagen, als er die Bleisoldaten seines ältesten Bruders Vernet zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Die Figuren waren bereits so abgegriffen, daß man Freund und Feind nicht unterscheiden, folglich auch nicht Krieg spielen konnte. Und auch jetzt empfand er heftigen Widerwillen gegen den Krieg, weil er keinen Sinn darin erkannte, wenn sich wildfremde Männer die Schädel einschlugen, ohne selbst einen Vorteil daraus zu ziehen.
Zu allem Unglück verlangsamten sich die folgenden Jahre auf unerklärliche Weise, so wie sich während der Schulzeit die Tage bis zu den Ferien verlangsamten, während die Ferientage dahineilten wie der Wind. Howard hatte genug Zeit, um darüber nachzudenken, und er fand auch den Grund für die plötzliche Langsamkeit der Jahre. Es war die Einsamkeit, die sein Leben beinahe zum Stillstand brachte.
Für seine Grabungen waren Howard nur ein paar alte Männer aus Kurna geblieben, mit deren Hilfe er weitere Erdtrichter anlegte, längst nicht so tief wie diejenigen vor Ausbruch des Krieges, aber ebenso erfolglos. Die Jungen waren in den Krieg gezogen. Am meisten fehlte ihm Sayyed.
Nach und nach schüttete Carter alle Erdtrichter, die er im Laufe der Jahre gegraben hatte, wieder zu. Jedoch nicht, ohne die genaue Lage und Tiefe auf einer Karte einzuzeichnen. Als diese Arbeiten abgeschlossen waren, begab er sich an drei aufeinanderfolgenden Tagen ins Tal der Könige, nur um die Landschaft auf sich wirken zu lassen. Denn, dachte er, wenn ihn schon die Erfahrung nicht weiterbrachte, so vielleicht seine Gefühle. So verbrachte er drei endlose, einsame Tage in dem Talkessel, ein nasses Tuch zum Schutz vor Staub und Sonne über dem Kopf, das jeden, der ihm begegnet wäre, in Schrecken versetzt oder das zumindest die Frage aufgeworfen hätte, ob dieser Eremit in der Wüste noch bei klarem Verstand war.
Aber zum Glück entging Carter jeder Beobachtung, jedenfalls glaubte er das, und so schlich sich unter dem nassen Tuch der Verdacht ein, daß der vergessene Pharao nicht in einem Erdgrab zur letzten Ruhe gebettet wurde, sondern in einem Felsengrab wie Königin Hatschepsut. Auf einem rötlichen Steinbrocken sitzend, der nach oben eine schüsselförmige Mulde bildete und für sein Hinterteil wie geschaffen schien, suchte Howard die Felswände ab nach verdächtigen Spalten, Narben oder Absätzen. Ein Fernrohr, mit dem er zunächst seiner Aufgabe nachging, erwies sich als unbrauchbar, weil es aufgrund der ungewöhnlichen Perspektive mehr vertuschte als enthüllte. Aber eine gewöhnliche Zeitung, zu einem Rohr gerollt, fokussierte den Blick auf vorzügliche Weise, so daß Howard nach wenigen Stunden zwei Dutzend verdächtiger Punkte in den Felswänden entdeckt hatte. Sorgfältig trug er jeden in eine Zeichnung ein, die er zuvor angefertigt hatte. Aber wie und wo sollte er beginnen?
Ihm wurde übel bei dem Gedanken, all die Jahre unter Aufbietung Hunderter Arbeiter an einem Ort gegraben zu haben, der sich im nachhinein als Irrtum erwies. Er sah sich schon der Lächerlichkeit preisgegeben und dem Spott aller
Weitere Kostenlose Bücher