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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Aber das war nun einmal nicht möglich. Nächtelang wälzte sich Howard in seinem Bett und grübelte nach, was er tun könnte. Kate und Fanny gegenüber benahm er sich zunehmend gereizt.
    Als Harold Sands, der Zollkontorvorsteher aus Harwich, seinen Besuch ankündigte, um Howard in Augenschein zu nehmen, ob er denn geeignet sei für den ausersehenen Beruf eines Kontorboten, kam es zu einem heftigen Wortwechsel zwischen ihm und den alten Damen, und er drohte, der Herr Zollkontorvorsteher solle sich ja nicht blicken lassen, er würde Steine nach ihm werfen. Und was seinen weiteren Lebensweg betreffe, werde er sich nach Beendigung des Schuljahres als Tiermaler niederlassen.
    In der Absicht, seinen Plänen Nachdruck zu verleihen, gab Howard Carter in der lokalen Zeitung eine Anzeige folgenden Inhaltes auf: »Bekannter und beliebter Tiermaler verewigt Ihren Liebling – Pferd, Hund oder Katze – auf Papier oder Leinwand. Ab zwei Shilling. Carter, Swaffham, Sporle-Road.«
    Zunächst geschah nichts, wenn man davon absieht, daß ihn ein paar Mädchen der Dame-School als dogpainter verspotteten, während Fanny und Kate die Nasen rümpften und meinten, nur gut, daß sie dem Herrn Zollkontorvorsteher Sands nicht abgesagt hätten. Dann aber, Mitte Juni, meldete sich der Schäfer Killroy und erteilte Howard den Auftrag, seinen Schäferhund Freddie in Öl zu porträtieren, eine Mrs. Gallagher gab ein Papagei-Bild in Auftrag und der Bauer Wheatley einen stolzen indischen Hahn, der Federn hatte wie ein Reiher. In weniger als zwei Wochen gingen bei Howard Carter Aufträge für ein halbes Jahr ein.
    Von seinem ersten verdienten Geld leistete sich Carter ein Fahrrad der Marke Rover, schwarz mit goldenen Streifen und glitzernden Metallteilen, ein Gefährt, das geeignet war, den Neid der Jungen und die Bewunderung der Mädchen hervorzurufen. Mit seinem Fahrrad erkundete Howard die nähere und weitere Umgebung von Swaffham, und seine Ausflüge führten ihn auf einsamen Wegen bis Watton, Gayton und Fincham.
    Es war ein ungewöhnlich milder Sommer damals, die Rhododendronbüsche standen in voller Blüte, und Carter nutzte die Ausflüge in abgeschiedene Gegenden, um über sich und sein Leben nachzudenken. Oft saß er auf einer Mauer am Wegesrand, neben sich sein Fahrrad, und beobachtete die Schmetterlinge, von denen es in diesem Jahr so viele gab wie schon lange nicht mehr. Vor allem Admirale, jene schwarzroten Falter, welche leicht wie Federn über bunte Wiesen gaukelten, waren in der Überzahl, und Howard stellte sich die Frage, welcher Erfindung es wohl bedürfe, um sich mit gleicher Leichtigkeit in die Lüfte zu erheben.
    Auf dem Kontinent waren Forscher zu dem Ergebnis gelangt, daß ein Mensch gerade die Hälfte seines Körpergewichts mittels durch die Füße bewegter Flügel zum Schweben bringen konnte. Magazine und Zeitungen hatten davon berichtet und abenteuerliche Phantasiebilder vorgezeichnet, mit deren Hilfe selbst fettleibige Menschen eines Tages von einem Ort zum anderen fliegen könnten, von London bis Southampton, vielleicht sogar bis Birmingham. Und dünnleibige?
    Schmetterlinge waren Howard nicht fremd. Er hatte die unterschiedlichsten eingefangen, beobachtet und gezeichnet, und in seinen Augen gab es kein Lebewesen, das dem Menschen das Fliegen besser vormachte als ein Schmetterling: ein Leib aus Kopf und Rumpf in der Mitte und zu beiden Seiten bewegliche Flügel. Mein Gott, so schwer konnte es doch nicht sein, sich in die Luft zu erheben!
    Geniale Ideen, das wußte Howard, zeichnen sich für gewöhnlich durch große Einfachheit aus. Und so kam ihm eines Tages der Gedanke, einen Schmetterling von hundertfachem Ausmaß zu bauen, also mit Flügeln von fünf Metern Spannweite statt fünf Zentimetern. Das, so folgerte er einleuchtend, würde ihnen auch die hundertfache Tragfähigkeit verleihen. In Verbindung mit einem Fahrrad und entsprechend langem Anlauf müßte es doch gelingen, sich in die Lüfte zu erheben. Howard sah in seiner Phantasie bereits Cambridge von oben aus der Luft und die Türme von King’s Lynn.
    Von einem Tag auf den anderen stellte Carter seine Fahrradausflüge ein. Er besorgte sich Holzlatten und Bambusrohr und dünnes Leinen und verschwand jeden Tag bis zur Dunkelheit im Schuppen hinter dem Haus an der Sporle-Road. Auch auf bohrende Fragen von Kate und Fanny, welchen dunklen Geschäften er in dem Schuppen nachgehe, ließ Howard sich zu keiner Antwort bewegen. Deren Angst wurde noch größer, als der

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