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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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zufriedengeben. Ein im Tresor verschlossener Schlüssel, erläuterte sie, könne nicht als bedeutungslos abgetan werden.
    Gewiß, fremde Häuser bergen mancherlei Geheimnis, aber in diesem Fall häuften sich die Merkwürdigkeiten. So glaubte Sarah Jones in den ersten acht Tagen nach dem Ableben der Baronin, den Westminster-Schlag einer Uhr zu vernehmen. Im ganzen Haus gab es jedoch keine Uhr, welche die Stunden mit diesem Schlag ankündigte. Der Verzweiflung nahe, rief Sarah Charles Chambers zu Hilfe. Doch als dieser sich am folgenden Tag von dem Phänomen überzeugen wollte, blieb es still.
    Eine Woche nach »Blümchens« Tod nahm Sarah den Unterricht in der Dame-School wieder auf. Die Schulbehörde in Norwich hatte zwei Aushilfskräfte nach Swaffham entsandt, Mrs. Campbell, eine resolute, aber sympathische Sechzigjährige, die sich bereits mit ihrem Ruhestand abgefunden hatte, und Susan Meiler, für die die Dame-School in Swaffham die erste Anstellung bedeutete.
    Als Sarah Jones das Klassenzimmer betrat, entdeckte sie sofort den Jungen in der letzten Reihe: es war Howard Carter. Sarah tat, als bemerke sie ihn nicht. Sie hatte sich passende Worte zurechtgelegt, mit denen sie ihren Schülerinnen die neue Situation erklären wollte. Feindseligkeiten, mit denen sie gerechnet hatte, blieben aus, und sie traute ihren Augen nicht, als ihr eine der McAllen-Töchter einen Blumenstrauß überreichte.
    Nach dem Ende des Unterrichts, als alle Schülerinnen den Raum verlassen hatten und Sarah Jones damit beschäftigt war, ihre Bücher einzusammeln, trat Carter auf sie zu und sagte schüchtern: »Ich bin wieder da.«
    »Ach ja«, erwiderte Sarah Jones, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken.
    »Es tut mir leid, Miss Jones, wirklich.«
    »Und die größte Schau der Welt? Wie kommen die ohne dich aus?«
    »Sie machen sich lustig über mich!«
    »Wundert dich das?«
    Carter blickte verlegen zur Seite. »Eigentlich nicht. Ich habe einen Fehler gemacht.«
    »Wenn du das nur einsiehst! Und was willst du jetzt tun?«
    »Das Schuljahr zu Ende machen, Miss Jones. Dann werde ich weitersehen. Sie wissen ja, wie es um mich steht.«
    Sarah Jones gab sich alle Mühe, das Mitgefühl zu unterdrücken, das sie plötzlich wieder für den Jungen empfand, und Howard entging nicht, daß sie bereits zum zweiten Mal ihre Bücher neu ordnete.
    Plötzlich meinte Howard: »Es fällt Ihnen wohl schwer zu trauern?«
    Sarah hielt inne. Zum ersten Mal sah sie Howard ins Gesicht: »Jeder Mensch trauert auf seine Art!« erwiderte sie kühl.
    Howard räusperte sich verlegen: »Verstehen Sie mich recht, Miss Jones, kein Mensch kann verlangen, daß Sie in Tränen ausbrechen über den Tod der Baronin. Sie war alles andere als liebenswert. Aber ihre Hinterlassenschaft soll beträchtlich sein, erzählt man sich in Swaffham.«
    »So, erzählt man sich das?« Zum ersten Mal kam Sarah zu Bewußtsein, daß sie in der Öffentlichkeit Beachtung fand, und zum ersten Mal stellte sie sich die Frage, ob ihr früheres unauffälliges Leben nicht das bessere gewesen war.
    »Das darf Sie nicht wundern, Miss Jones«, meinte Carter lachend, »in der ganzen Grafschaft Norfolk hat sich seit Menschengedenken kein ähnlicher Fall ereignet. Sogar der Daily Telegraph hat einen Korrespondenten nach Swaffham gesandt. Er wird sich sicher noch mit Ihnen unterhalten.«
    »Um Himmels willen, nur das nicht!«
    »Aber warum denn, Miss Jones? Sie haben sich doch nichts vorzuwerfen! Wenn ich mir das so vorstelle, Ihr Bild in der Zeitung. Ganz Swaffham würde stolz sein…«
    »Lieber nicht. Leute, die in der Zeitung stehen, sind selten zu beneiden. Und jetzt habe ich zu tun.« Damit beendete Miss Jones das Gespräch, sie nahm ihre Bücher auf und wies Howard zur Tür.
    »Und Sie entschuldigen mein Verhalten in Cambridge?« quengelte Carter, während er neben ihr herlief.
    Sarah nickte: »Längst vergessen. Und jetzt mach, daß du nach Hause kommst.«
     
     
    In den folgenden Tagen mühte sich Howard aufrührende Weise, Miss Jones’ Zuneigung zurückzugewinnen; doch Sarah gab sich äußerst zurückhaltend. Manchmal erschien es ihm, als strahlte aus ihren Augen jene herzliche Wärme, mit der sie ihm anfangs begegnet war. Aber dann, im nächsten Augenblick, der dem glückverheißenden folgte, ließ sie ihn wieder jene freundliche Gleichgültigkeit spüren, mit der sie den Mädchen in der Klasse begegnete. Was hätte er gegeben, die Auseinandersetzung in den Backs von Cambridge ungeschehen zu machen.

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