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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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verschwanden. Sarah war schweißgebadet.
    Irgendwann, als schon der Morgen graute und beruhigendes Vogelgezwitscher einsetzte, mußte Sarah dann doch eingeschlafen sein; denn sie wurde von heftigem Lärm geweckt. Die Uhr zeigte kurz nach sieben.
    Sarah warf sich ein Kleid über und blickte aus dem Fenster. Vor dem Portal standen drei vornehm gekleidete Herren. Sie trugen dunkle Mäntel und Bowler, was dem Ort und der Jahreszeit in keiner Weise angemessen schien, und einer von ihnen rief, als er Sarah wahrnahm, nach oben, sie kämen vom School-Board in Norwich und begehrten Einlaß.
    Sarah kam der Aufforderung nach, und ihr traten drei Männer mit ruppigem Benehmen entgegen, von denen der erste wohl schon ein halbes Jahrhundert in Diensten der Behörde in Norfolk stand, während die beiden anderen ihre Jugend hinter mühevoll gezüchteten Backenbärten versteckten.
    »Baronin von Schell?« fragte der Leiter der Kommission kurz angebunden.
    »Oben!« erwiderte Sarah Jones ebenso knapp und zeigte zur Treppe. Sie ging voraus, die Herren folgten, der Leiter zuerst, dahinter die beiden anderen im Gleichschritt. Vor der schwarzen Türe mit dem weißen Schild »Direktion« am Ende des Korridors blieb Sarah stehen und klopfte. Als keine Antwort kam, öffnete sie vorsichtig. Die Männer nahmen ihre Hüte vom Kopf und drängten sie beiseite.
    Gertrude von Schell saß zurückgelehnt hinter ihrem Schreibtisch. Der linke Arm hing senkrecht über die Armlehne. Die Rechte hielt die Pistole umklammert, welche Sarah ihr zurückgegeben hatte. Die offenen Augen der Baronin schienen die Eindringlinge zu mustern. Aber das schien nur im ersten Hinsehen so. Im Näherkommen wurde das kleine Rinnsal getrockneten Blutes sichtbar, das von ihrer Schläfe über die rechte Wange in den Kragen ihres vornehmen Kleides reichte. Die Baronin war tot.
    Weder bei Sarah noch bei den Schulinspektoren rief der unerwartete Anblick Bestürzung hervor. Sarah ertappte sich bei dem Gedanken, daß Gertrude von Schell tot viel besser aussah als in der Nacht zuvor in lebendigem Zustand. Sie hatte sich geschminkt und gepudert und ein gutes Kleid angelegt, um zu sterben.
    »Gentlemen, wir kommen zu spät«, bemerkte der ältere der drei Inspektoren, und nachdem er die Baronin einmal umrundet und sein Gesicht verzogen hatte, als ekelte er sich vor dem Anblick, bemerkte er teilnahmslos: »Dieser Vorfall erspart uns eine Menge Arbeit, Gentlemen.«
    Vor Gertrude von Schell lagen aufgereiht mehrere Schlüssel und ein Schriftstück, das die Baronin offenbar kurz vor ihrem Tod ausgefertigt hatte. Einer der Kommissare beugte sich von hinten über die Tote und las, ohne das Blatt in die Hand zu nehmen, was auf dem Schriftstück geschrieben stand:
     
    »Ich scheide ohne Trauer und aus freiem Willen aus dem Leben. Mein gesamtes Erbe hinterlasse ich Miss Sarah Jones mit der Auflage, die Dame-School in meinem Sinne weiterzuführen.
    Gertrude Baronin von Schell.«
     
     
    Nur zögernd kehrte der Alltag nach Swaffham zurück. »Blümchen« und Gertrude von Schell wurden an verschiedenen Tagen beerdigt. Doch während für das Mädchen die ganze Stadt auf den Beinen war, hatten sich am Grab der Baronin nur zwei Menschen eingefunden: Sarah Jones und Charles Chambers.
    Charles Chambers war es auch, der Sarah in ihrer ungewohnten, schwierigen Lage zur Seite stand. Hatte sie bisher im Leben nur Befehle empfangen und ausgeführt, so oblag ihr nun die Aufgabe, Entscheidungen zu treffen, und dabei entpuppte sich Charles als willkommener Gefährte. Charles bestärkte sie in dem Vorhaben, die Schule weiterzuführen und sie der Zeit anzupassen.
    Was das Erbe betraf, so stellte sich die Finanzlage der Dame-School weit besser dar, als es das Schulgeld von einem halben Shilling und die ständigen Klagen der Baronin hätten vermuten lassen. Allein im Tresor, der sich im Direktionszimmer hinter einem Gemälde verbarg, entdeckte Sarah über zehntausend Pfund in Banknoten und Staatsanleihen von noch höherem Wert. Kein Zweifel, Sarah Jones war eine reiche Frau; aber die Umstände erlaubten ihr nicht, sich darüber zu freuen.
    Geld war im übrigen nicht das einzige Geheimnis, das dieser Tresor barg. Ein Schlüssel mit herzförmigem Anhänger erregte Sarahs besondere Aufmerksamkeit, weil es im ganzen Haus kein Schloß gab, zu dem er paßte. Chambers meinte, Schlüssel verlören im Laufe eignes Lebens ihre Bedeutung und blieben bisweilen nur als Erinnerung erhalten. Damit wollte Sarah sich nicht

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