Der König von Luxor
biederen Kleidung, die der ihres Mannes in jeder Beziehung nachstand.
So vornehme Leute wie Harold und Nancy Sands machten natürlich keine Anstalten, bei Carters in der Sporle-Road abzusteigen, sie mieteten vielmehr das schönste zum Marktplatz gelegene Zimmer im »George Commercial Hotel«, das Mr. Hazelford aufbieten konnte. Erst am Nachmittag fanden sie sich bei Kate und Fanny ein, um Howard zu begutachten, ob er denn als Zollkontorbotengänger geeignet sei.
Die beiden alten Damen hatten bewußt darauf verzichtet, Howard von der Ankunft seines Cousins in Kenntnis zu setzen, mußten sie doch befürchten, daß er der Begegnung, wie angekündigt, aus dem Wege ging. Als Howard aber endlich eintraf und Kate und Fanny auf das Schlimmste gefaßt waren, verlief die Zusammenkunft anders als erwartet.
Sands zeigte sich von Howards Tierbildern begeistert und stellte die Frage, ob ein Junge von solchem Können dem Beruf eines Zollkontorboten nachgehen, ob er nicht vielmehr Maler werden solle. Und selbst der Einwand von Fanny und Kate, aus der Familie seien bereits vier Maler hervorgegangen, ließ ihn unbeeindruckt, und er meinte, England sei groß genug, einen weiteren Maler zu ernähren, vor allem einen so hervorragenden.
Das unerwartete Lob aus dem Mund eines Mannes, den er insgeheim verflucht hatte, machte Carter sprachlos, und als Harold Sands ihn gar aufforderte, nach Harwich zu kommen und, so es seine Zeit erlaube, ihren Kater Gladstone zu malen, da kämpfte Howard mit den Tränen, und er drückte Sands die Hände. Der flüsterte ihm abschließend zu, so daß es die anderen nicht hören konnten, Zollkontorvorsteher sei zwar ein Beruf, der seinen Mann ernähre, aber keinesfalls die Erfüllung seiner Träume. Seit seiner Jugend habe er davon geträumt, ein berühmter Sänger zu werden, ein Countertenor der besonderen Art, der Bach und Händel gesungen hätte; aber er sei gezwungen worden, »etwas Anständiges zu lernen« – so hätten sich seine Eltern ausgedrückt. Er, Howard, solle ruhig darauf beharren, »etwas Unanständiges« zu lernen. Und so wäre der Besuch des Zollkontorvorstehers zur Zufriedenheit aller verlaufen, hätten nicht Sands und seine Frau bei ihrer Rückkehr ins Hotel eine peinliche Entdeckung gemacht. Das Gepäck war durchwühlt, ebenso der Kleiderschrank und die Kommode, deren Schubladen offenstanden. Man hatte den Eindruck, daß die Räuber bei ihrem Beutezug gestört worden waren und überstürzt das Weite gesucht hatten.
Nicht ohne Grund ging Harold Sands auf den Kleiderschrank zu, in dem er seinen dunkelroten Morgenmantel aufgehängt hatte, ohne den er nie auf Reisen ging. Ja, er hing an dem Kleidungsstück, obwohl die Seide schon etwas in die Jahre gekommen war, besonders an den breiten Stulpen, die jedoch ein Geheimnis bargen. In den Armstulpen pflegte Sands sein Reisegeld zu verstecken. Natürlich hätte sich Sands niemals des Ausdrucks Reisegeld bedient, denn der Zollkontorvorsteher wußte zu jeder Zeit die genaue Summe, welche er mit sich führte, an diesem unglückseligen Tag sechs Guineen und zwei Shilling. Das Geld war fort.
England ist kein übles Land für Kriminalisten, ja manche behaupten ernsthaft, dieser Berufsstand sei hier erfunden worden. Nun war ein Zollkontorvorsteher wie Sands zwar kein Kriminalist, aber durch seinen täglichen Umgang mit Schmugglern, Gaunern und Geschäftemachern so erfahren, daß er den Fall – und um einen solchen handelte es sich zweifellos – anders anging, als man erwarten durfte.
Sands rief keineswegs die Polizei, sondern er betrat mit seiner Frau, als wäre nichts geschehen, am Abend die Wirtsstube, um ein leichtes Mahl einzunehmen. Dabei schien jedoch sein Interesse mehr auf die wenigen Gäste als auf das frugale Essen gerichtet, und als er sich von Mr. Hazelford zur Nacht verabschiedete, bat er diesen ganz nebenbei, die zwanzig Shilling, welche er noch in der Tasche bei sich trug, in eine Pfundnote zu wechseln. Beflissen kam Mr. Hazelford der Bitte nach, und er bemerkte auch nicht, mit welcher Strenge sein Gast diesen Vorgang verfolgte.
Zum Frühstück am nächsten Morgen trug Hazelfords Sohn Owen den Tee auf. Überraschend legte Sands die am Vorabend eingetauschte Pfundnote auf den Tisch und sagte: »Ich glaube, diese Banknote ist eine Fälschung. Man hört so viel von gefälschten Scheinen. Haben Sie eine Pfundnote zum Vergleich?«
»Aber ja, Sir«, antwortete Owen höflich und fingerte ein Bündel Geldscheine aus der Hosentasche, von
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