Der König von Luxor
ihres Busens, die Arme und ihre gesamte Erscheinung. Für Howard waren die Geheimnisse ihres Körpers keine Geheimnisse mehr.
Eher zufällig fiel sein Blick auf die Zeichnung, die unter ihren Liebesbezeugungen in Mitleidenschaft gezogen worden war. Er mußte lachen. Und als Sarah den Grund seiner Fröhlichkeit erkannte, da konnte auch sie sich nicht mehr zurückhalten, und sie lachten beide herzlich und übermütig.
»Ich hoffe«, meinte Sarah kichernd, »die Wirklichkeit hat deine Phantasie nicht zu sehr enttäuscht.«
Da wandte Howard den Blick verschämt zu Boden, und schüchtern entgegnete er: »Die Wirklichkeit hat meine Phantasie weit übertroffen, Miss Jones!«
Sarah küßte Howard zum Abschied auf die Stirn. Nacheinander verließen beide die Bibliothek, zuerst Howard, dann Sarah. Howard schwang sich auf sein neues Fahrrad, das er inzwischen erstanden hatte, und trat in die Pedale, als würde er vom Teufel gejagt. Aber die Hitze des Abends war nicht geeignet, seinen Körper abzukühlen. Er hätte jauchzen können vor Lust. Das also war Leidenschaft, jenes unkontrollierte Verhalten, das nur ein Ziel kennt – das Objekt der Begierde zu besitzen.
Als Howard in das Haus an der Sporle-Road zurückkehrte, war er ein anderer. Er war erwachsen geworden, ein Mann. Seit Kindertagen hatte er davon geträumt, von einer großen, schönen, dunkelhaarigen Frau geliebt zu werden. Genaue Vorstellungen, was das bedeutete, hatte er nie gehabt, aber er war bis zu diesem Tag unglücklich genug gewesen, um sich nach jenem unbekannten Gefühl von Liebe und Leidenschaft zu sehnen.
Fanny und Kate, denen die Veränderung ihres Neffen nicht verborgen blieb, stellten keine Fragen. Sie wußten, daß ein Junge dieses Alters Fragen nach seinem Seelenzustand nie wahrheitsgemäß beantwortet. Was hätte er auch antworten sollen? Etwa: Ich liebe meine Lehrerin? Oder gar: Ich habe mit ihr ein Verhältnis? Man hätte ihn nicht für voll genommen, und Howard hätte ihnen das nicht einmal verdenken können.
Es war nicht ungewöhnlich für einen Jungen seines Alters, sich in seine Lehrerin zu verlieben. Ungewöhnlich war nur, daß die Lehrerin seine Zuneigung erwiderte. Mehr noch, daß die Leidenschaft von ihr ausging. Jedenfalls empfand er es so, und Howard wünschte, die Zeit möge stillstehen.
Der Schuljahresschluß am folgenden Tag, einem Dienstag, schien kein Ende nehmen zu wollen. Miss Jones und Howard waren darauf bedacht, daß ihre Blicke sich nicht begegneten. Sogar als Howard sein Abschlußzeugnis entgegennahm, sahen sie aneinander vorbei, als plagte sie ein schlechtes Gewissen.
Aus der Entfernung konnte sich Howard jedoch nicht sattsehen an der Geliebten. Wie schön und wie verführerisch sie war! Zitternd versuchte Carter, seine Gefühle zu unterdrücken, und er dachte nach, wie viele Tage Trennung sie ihm auferlegt hatte. Ein paar Tage, hatte sie gesagt. Hatte sie daran gedacht, daß ein paar Tage eine Ewigkeit sein konnten?
Das hältst du nicht aus, sagte er bei sich, das kann sie mit mir nicht machen. Warum tut sie das? Sie wollte es doch genauso wie ich!
Allein mit seinen Gedanken streifte Howard am Nachmittag über die Weiden in Richtung Dereham, die um diese Zeit in voller Blüte standen. Aus den schönsten Blumen, die er finden konnte, band er einen Strauß; dann schlich er nach Hause. Er hatte noch nie Blumen gepflückt und kam sich mit Blumen in der Hand ziemlich albern vor. Deshalb legte er, bevor er das Haus betrat, den Strauß vor dem Eingang nieder. Unbemerkt erreichte er sein Zimmer und schnitt aus einem Zeichenblatt eine Briefkarte. Mit zierlicher Feder und in seiner schönsten Schreibschrift schrieb Howard darauf die Worte: Der schönen Aphrodite – vormals Griechenland, jetzt Swaffham, Grafschaft Norfolk. Von Howard Carter.
Dann fuhr er mit seinem Blumengebinde in Richtung Marktplatz zur Dame-School. Howard wollte nicht gesehen werden, schon gar nicht mit einem Blumenstrauß. Deshalb benutzte er den Hintereingang, schlich über das kühle Treppenhaus in das zweite Stockwerk, wo das kleine Zimmer lag, das Sarah Jones seit ihrer Ankunft in Swaffham bewohnte. Vor der Türe legte Howard Carter den Strauß mit der Karte nieder, und scheinbar unbemerkt verschwand er durch die Hintertür.
Liebe macht blind. Und so entging ihm auch diesmal der Mann mit der dicken Brille und dem krausen Backenbart, der sein Kommen und Gehen aus sicherer Entfernung beobachtet hatte.
Kaum hatte Howard das Haus verlassen,
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