Der König von Luxor
begab sich der Fremde auf demselben Weg in das Innere, fand zielsicher den Weg nach oben und nahm den Blumenstrauß an sich, der vor Miss Jones’ Zimmer lag. Ein Stockwerk tiefer klopfte er an die Türe des Direktionszimmers und vernahm eine Stimme, die ihn zum Eintreten aufforderte.
»Mein Name ist Marvin, James Marvin«, stellte sich der Fremde vor und fügte hinzu: »Wir kennen uns nicht.«
In der Annahme, es sei eine Sache von Wichtigkeit, bot Miss Jones dem Fremden einen Stuhl an. »Was kann ich für Sie tun, Sir?« fragte sie freundlich.
Marvin setzte sich und drehte verlegen den Blumenstrauß in seinen Händen. Dabei fiel die Karte zu Boden. Sarah sah es und wunderte sich, warum der fremde Mann, der den Vorgang ebenfalls bemerkt hatte, sie nicht aufhob.
»Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll«, meinte dieser umständlich, »aber es ist bekannt, daß Sie, Miss Jones, das Erbe der seligen Baronin von Schell angetreten haben, welche vor vielen Jahren das Geld in die Ehe gebracht hat.«
»Ja, natürlich, das ist kein Geheimnis«, antwortete Sarah. »Und was stört Sie daran, Mr. Marvin? Sind Sie ein entfernter Verwandter? Wollen Sie die Erbschaft anfechten?«
»Gott bewahre, Miss Jones!« Marvin hob beide Hände. »Der selige Baron war mir jedoch kein Unbekannter, müssen Sie wissen. Meinem Vater war er sogar beinahe ein Freund.«
»Beinahe? Was heißt beinahe?« fragte Sarah schnippisch zurück.
»Nun ja, er half dem Baron, so zu leben, wie es seiner Vorstellung entsprach. Leider ist er im letzten Jahr gestorben. Nun führe ich seine Geschäfte.«
»Ich verstehe kein Wort, Mr. Marvin.« Miss Jones erhob sich hinter ihrem Schreibtisch und musterte den fremden Besucher mit kritischem Blick, so als zweifelte sie, ob sie seinen Worten glauben könne. »Wollen Sie sich nicht etwas genauer ausdrücken?«
»Wie Sie wünschen.« Marvin holte tief Luft. »Baron von Schell führte ein Doppelleben, was – wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf – kein Wunder war angesichts des spröden Charakters der Baronin. In einer schwachen Stunde gestand er meinem Vater einmal, er habe die Baronin nur wegen ihres Geldes geheiratet. Und um dem Martyrium dieser Ehe zu entgehen, unternahm er Forschungsreisen in ferne Länder.«
»Ich verstehe.« Sarah Jones verschränkte die Arme und wartete amüsiert auf weitere Enthüllungen.
»Gar nichts verstehen Sie, Miss Jones!« erwiderte Marvin beinahe böse. »Die monatelangen Reisen des Barons in ferne Länder endeten nämlich alle in London. Genauer gesagt in der Abbey Road, wo eine Lady von zweifelhaftem Ruf, aber einnehmendem Äußeren, einen liederlichen Haushalt führte. Mit dieser Dame der – sagen wir einmal – nicht gerade besten Gesellschaft verbrachte Baron von Schell mehr Zeit im Jahr als mit seiner Ehefrau.«
Miss Jones schüttelte den Kopf. »Und damit kein Verdacht aufkam, kaufte er die Trophäen aus Afrika und die Ausgrabungen aus Ägypten, Rom und Griechenland auf Auktionen von Phillips und Christies oder bei Händlern in Kensington.«
»Richtig erraten, Miss Jones!«
»Das habe ich nicht erraten, Mr. Marvin. Ich fand Rechnungen in seinem Nachlaß, die einen gewissen Verdacht aufkommen ließen. Seltsam nur, daß die Baronin nicht dahintergekommen ist. Immerhin hatte sie fünfzehn Jahre Zeit!«
»Woher wollen Sie wissen, daß die Baronin keine Ahnung hatte vom Doppelleben ihres Mannes?«
»Sie redete nur gut über ihn. Sie verehrte seine Hinterlassenschaft, als wären es Reliquien. Sie – « Sarah hielt inne. Es gab keinen Grund, dem rätselhaften Mr. Marvin mehr zu erzählen. Statt dessen richtete sie an den Unbekannten die Frage: »Und welche Rolle spielte Ihr Vater bei dem Komplott gegen die Baronin?«
»Komplott ist ein starkes Wort, Miss Jones. Gewiß, Sie als Frau werden wenig Verständnis aufbringen für das Verhalten dieses Mannes. Aber was man so hörte…«
»Sie werden es vielleicht nicht für möglich halten, Mr. Marvin, aber ich kann Baron von Schell verstehen. Ich habe ihre Launen und Boshaftigkeiten erlebt und war nahe daran wegzulaufen, als die Sache mit ›Blümchen‹ passierte. Sie werden sicher davon gehört haben.«
Marvin nickte, und Sarah fuhr fort: »Aber Sie sind doch sicher nicht gekommen, um mir diese Geschichte zu erzählen. Deshalb noch einmal meine Frage: Welche Rolle spielte Ihr Vater in diesem Zusammenhang?«
»Er war Zuträger für den Baron. Er besorgte ihm all das, was ein Forscher von seinen Weltreisen und
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