Der Koenig von Rom
gewohnt. Sie riss ein Fenster auf. Irgendwo im Hintergrund hörte man das Echo des Schlagers
Lella, quella ricca
. Irgendjemand war wohl eingeschlafen und hatte vergessen, das Radio auszuschalten. Ausgerechnet dieser Schlager. Es war Vollmond. Zwei Katzen verfolgten einander auf dem Pflaster und fauchten wie wild.
Sie mochte Libanese. Libanese machte ihr Angst. Sie musste zugeben, dass sie am Anfang nur aus Neugier seine Nähe gesucht hatte. In ihren Kreisen war man schon seit geraumer Zeit der Meinung, das Lumpenproletariat könnte insgeheim revolutionär gesinnt sein, das kriminelle Potential könnte sich unter umsichtiger Führung in revolutionäre Kraft verwandeln. Was bedeutete, sie stünden auf derselben Seite. Und so hatte sie zugegriffen, als Libanese aufgetaucht war. Aber vieles von dem, was sie kennenlernte, gefiel ihr überhaupt nicht. Wie sollte sie Libanese erklären, dass sie seine Freunde schrecklich fand und die beiden Huren widerlich?
Aber vielleicht wusste er das ohnehin. Hatte er nicht alles getan, um sie von seiner Welt fernzuhalten?
Im
Bastianelli
hatte sich Giada augenblicklich fehl am Platz gefühlt. Aber hast du dir vielleicht vorgestellt, Bufalo und Dandi könnten im Park Molotowcocktails werfen und Ulla und Rossella Flugblätter verteilen? Nun komm schon!
Giada musste sich über sich selbst klar werden.
Über sich selbst und über ihn. Vielleicht war er ehrlicher als sie. Er hatte beschlossen, ihr seine Welt zu zeigen, um ihr jede Illusion zu nehmen.
Und das gefiel ihr.
– Was denkst du gerade?
Libanese stand plötzlich hinter ihr. Er küsste sie auf den Hals.
– Habe ich dich erschreckt?
– Nein, ich kann nicht schlafen.
– Komm, ich erzähle dir eine Geschichte. Dann schläfst du vielleicht ein.
XX.
Sie lagen im Bett. Das Licht war aus.
– Habe ich dir jemals erzählt, dass ich den Beruf von meinem Vater geerbt habe?
– Nein.
– In der Kartei meines Vaters stand: vorbestraft, arbeitslos, lebt von Gelegenheitsjobs. Doch im Grunde hatte er einen Job. Er war Dieb.
Erfolgloser Dieb, um die Wahrheit zu sagen. Er hatte mehr Fehlschläge als Erfolge zu verbuchen. Um Erfolg zu haben, fehlten ihm einige grundlegende Eigenschaften. Mut, Hirn, Herz und Eier. Eigentlich hatte er überhaupt keine guten Eigenschaften. Er träumte vom großen Coup, der es ihm ermöglichen sollte, ein sorgloses Leben zu führen. Und derweil lag er Signora Pina auf der Tasche. Eines Tages war er verschwunden. Ohne sich auch nur zu verabschieden.
– Und du warst allein.
– Besser als in schlechter Gesellschaft, oder? Und außerdem hat er mir nichts bedeutet. Ich erzähle dir, wer mein wirklicher Vater war.
Giada schwieg. Libanese seufzte. Plötzlich wirkte er wie ein kleiner verlorener Junge.
– Er hieß Scarnicchia, fuhr er fort.
Er war ein alter Penner. Aus irgendeinem Grund hatte sich im Viertel das Gerücht verbreitet, dass er in seiner Matratze ein Vermögen versteckte. Libanese war damals zwölf Jahre alt gewesen, es war ihm gelungen, in seine Wohnung einzudringen, in eine Kellerwohnung auf der Via della Scala, wo es nach Mäusen und Elend stank.
– Ich hatte ein kleines Messer. Ich wollte den Schatz finden. Ich wollte meiner Mutter einen Fernseher schenken. Ich wollte, dass alle wissen, wozu ich fähig bin.
Und plötzlich hatte er eine Klinge am Hals und der Alte drohte, ihn in Streifen zu schneiden. Und er schrie: „Du wolltest hier was klauen, was? Das werde ich dir austreiben, du Trottel!“
– Und du?
– Und ich … habe mich angemacht. Ach, ich war zwölf Jahre alt, zum Teufel!
Aber dann hatte ihn der Alte genauer angesehen, geseufzt und das Messer einschnappen lassen.
„Ach, schau mal! Der Sohn von Pina und Oreste.“
Der Alte hatte ihm von seiner Mutter erzählt. Wie sehr ihm Signora Pina gefallen hatte. Eine Schönheit. Wenn sie durch die Gassen ging, drehten sich alle um und sahen ihr nach. „Aber sie war immer ganz ernst, schlug immer den Blick zu Boden und ging schnurstracks nach Hause. Hat nie jemandem vertraut. Dann hat sie sich mit diesem Trottel, deinem Vater, eingelassen, und das Ende ist ja allseits bekannt …“
– Und dann fragte er mich: „Sag mal, weißt du überhaupt, wer ich bin?“ „Nein, Signore“, antwortete ich, „ich schwöre, man hat mir gesagt, du hättest einen Haufen Geld und da wollte ich mal nachsehen …“ Und er: „Geschwätz. Mir ging es nie ums Geld, mir ging es immer nur um die Ehre. Um die Ehre und das Messer.“
Und in
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