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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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sich hervorragend, was das Aussehen betraf. Bereits wenige Monate später heiratete Woiloda und mit ihm 20 andere Paare. Die angehende Baikal-Amur-Magistrale entpuppte sich als gigantischer, vielversprechender Markt für die Partnersuche. Außerdem hatten Verheiratete ein Anrecht auf größere Zimmer und sogar Wohnungen. Anna hätte auch gerne ein Anrecht gehabt, aber Alexander war nicht danach. Er kam lieber abends zu ihr, und zwar immer dann, wenn ihre Kollegin in der Gegenrichtung unterwegs war. Kurz nach der Hochzeit kündigten sich bei den Paaren die ersten Kinder an, ohne die übliche Frist von neun Monaten einzuhalten. Bei Woiloda waren es gerade fünf. Aber er schämte sich nicht wegen seiner verlotterten Moral. Im Gegenteil. Sein Kind, so verkündete er angetrunken, sei ganz im Sinne des Sozialismus gezeugt worden.
    Abgesehen von der Partnersuche mit Abschlussgarantie für Frauen und den zwei monatlichen Popabenden gab es nur noch wenig Abwechslung in der Taiga. Wodka and Fernsehen rangierten an erster Stelle, und bei denen, die Keine Gespielin abbekamen, konnte der Konsum an Schnaps ohne weiteres auf zwei Flaschen pro Tag anwachsen. Das führte zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Arbeit, die Leistung ging zurück, Unfälle häuften sich, und die Führung drohte mit strengen Maßnahmen. Dabei blieb es auch.

    Es wurde von Seiten der Bauaufsicht viel geredet und beschönigt, es wurde versprochen, hingehalten, beschwichtigt und gelogen, aber die Fehlorganisation schien auch bei diesem Prestigeobjekt ein unsterblicher Virus zu sein. Der Plan hätte wesentlich schneller voranschreiten können, wenn es immer die richtigen Materialien zur richtigen Zeit gegeben hätte. Sogar auf Dinge, die in unmittelbarer Nähe hergestellt oder abgebaut wurden, mussten die Brigaden oft tagelang warten, unter anderem auf Schwellen und Schotter. Monate konnte es lauern, bis auf offiziellem Wege ein Ersatzteil für den japanischen Kran oder die deutschen Magirus Deutz eingetroffen waren; während der ganzen Zeit standen die wichtigen Geräte still. Oder endlich neue Spezialmeißel mit einer Diamantbeschichtung geliefert wurden, die als einzige beim Bau des Tunnels mit dem harten paläozoischen Untergrund fertig wurden.
    Auch manche Nahrungsmittel trafen gar nicht oder verspätet ein. Auf Obst und Gemüse freuten sich alle, wenn es endlich wieder mal angeboten wurde, leider oft in einem wenig erfreulichen Frischezustand. Winterschuhe füllten die Regale im Sommer, dazu schön gefütterte Stiefel und Pelzmützen. Badehosen, Sandalen und Sommerkleidung dagegen gab es im Herbst oder Winter, und so ging das mit fast allen Produkten in boshafter Regelmäßigkeit.
    »Wir brauchen nur die Jahreszeiten zu vertauschen, schon werden wir makellos versorgt«, flachste Alexander zum Brigadier, der darüber schimpfte, dass es nun schon am Primitivsten fehle: den Eisenstangen, um den Schienenkörper auszurichten. Die alten seien zu schwach und hätten sich bei jedem Ruck verbogen. Sie immer wieder auf die Gleise zu schlagen, um sie gerade zu bekommen, ermüde das Material zu sehr.

    Im Spätsommer lud Leonid Alexander zur Jagd ein. Alexander dachte, der Georgier würde ihn in ein Auto verfrachten, gerade mal um die Ecke fahren, ihm ein Gewehr in die Hand drücken und sagen: Los, knall einen Elch ab. Oder einen Rehbock. Er täuschte sich. Sie wurden von einem Hubschrauber abgeholt, den Leonid herbestellt hatte. Alexander wuchtete seine Tasche in die kleine Kanzel, und dann flogen sie vier Stunden nach Westen, hinein ins Witimplateau, unweit der Stadt Kalakan. Auf einer Waldlichtung landete der Hubschrauber, Alexander und Leonid stiegen aus, und der Brigadier entließ den Piloten mit dem Hinweis, sie in vier Tagen wieder an der gleichen Stelle zur gleichen Zeit abzuholen.
    Am Rande der Lichtung stand eine Holzhütte, errichtet aus beindicken Stämmen, darauf steuerte Leonid zu.
    »Was glotzt du denn so? Noch keine Jagdhütte gesehen?«
    Drinnen sah es spartanisch aus. Zwei harte Liegen, ein grob gezimmerter Tisch, zwei Stühle und in der Ecke eine provisorische Feuerstelle. Die Hütte von Litvius, dem Letten, erinnerte sich Alexander, war im Vergleich dazu sehr gemütlich und komfortabel.
    »Das hier ist unsere Anlaufstation, jeden Tag geht es in eine andere Richtung.«
    Leonid schien gar nicht so sehr auf das Schießen versessen zu sein. »Anlegen und ein Tier abknallen, das kann jeder«, erwähnte er einmal geringschätzig. »Viele ballern nur

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