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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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stand in Diensten eines Großgrundbesitzers. Offiziell hatte man 1861 die Leibeigenschaft per Gesetz aufgehoben, in Wirklichkeit mussten die Bauern für das ihnen zugeteilte Land hohe Ablösesummen zahlen, die sie nicht aufbringen konnten. Und da ihre Landteile zu klein waren, um die Schulden abzuwirtschaften, änderte sich an ihrer fatalen Lage nichts. Die Großgrundbesitzer, man nannte sie Zuzlo, was soviel wie der Feuerschwänzige bedeutet, traten als Geldgeber auf, die astronomische Zinsen verlangten und dadurch die Verschuldung höher und höher trieben. Zwar konnten die Reichen die Bauern nicht mehr zu Frondiensten, der Baschtschina, heranziehen, aber mein Vater schuftete und schuftete, ohne je ein freier Mann gewesen zu sein. Bis zum Schluss war er ein Leibeigener, bis 1917, als er starb.«
    Nikolai deutete auf ein Foto, und Alexander erkannte einen Mann mit Bart und einer Mütze auf dem Kopf. In der Hand hielt er eine Axt, neben ihm lag ein Berg gespaltetes Holz.
    »Er war stark, mein Vater. Und er zerbrach, weil Zuzlo ihn fertigmachte, ihn misshandelte, seine Ehre mit Füßen trat und ihn die Abhängigkeit spüren ließ. Wir wohnten in einer verfallenen Hütte: Es gab kein Wasser, außer wenn es regnete, dann aber leider nur durch das Dach, erst recht keinen Strom und keine Toilette. Zuzlo residierte in einem feudalen Herrenhaus, doppelt so groß wie mein Domizil hier in Kirensk. Alle hatten zu springen, wenn er was wollte. War einer nicht willig, dann benutzte er die Peitsche, das entwürdigende Requisit der Leibeigenschaft. Auch meinen Vater schlug er. Ich konnte das nicht ertragen, und tief in mir waren die Schmerzen viel schlimmer, als wenn ich selbst getroffen worden wäre. Schon mit sechs oder sieben Jahren merkte ich, dass mein Vater ein gebrochener Mann war. Er murrte nicht, er klagte nicht, ging stets mit gesenktem Kopf und hochgezogenen Schultern. Heute kommt es mir vor, als wartete er regelrecht auf die Peitsche. Im Sommer 1917, am 23. Juli, es war sehr heiß, der Boden war vor Trockenheit aufgerissen, hörte ich einen Schrei, den ich nie vergessen werde. Wir liefen alle vor das Haus, und dann sahen wir es. Mein älterer Bruder war von einem Zaun aufgespießt worden, die Eisenlanze hatte seinen nackten Körper durchdrungen und ragte blutverschmiert aus seinem Rücken. Und eine Etage höher im geöffneten Fenster stand der Großgrundbesitzer, ebenfalls nackt. Mein Vater wusste sofort, was geschehen war, Zuzlo hatte seinen Sohn missbraucht. Er lief in unsere Hütte und kam mit einem Jagdgewehr zurück. Als er die Treppe des herrschaftlichen Hauses hoch stürmte, erschoss ihn der Sohn des Großgrundbesitzers, der zu diesem Zeitpunkt nicht älter als zwölf Jahre war. Neben dem Jungen stand, immer noch nackt, sein Vater, der ihn voller Stolz betrachtete and ihm eine Hand auf die Schulter legte. Das Bild werde ich nie vergessen.«
    In Nikolais Gesicht arbeitete es. Er warf Alexander einen flüchtigen Blick zu und sprach weiter: »Wir beerdigten meinen Bruder, der einem Unfall zum Opfer gefallen war, und meinen Vater. Aus Versehen erschossen, weil man ihn in der Dunkelheit für einen Einbrecher gehalten hatte. So lautete die offizielle Version. Ich war damals sieben Jahre alt, beinahe acht, und begriff das Unfassbare: den Tod von zwei Familienangehörigen, die ich über alles geliebt habe. Um zu erkennen, dass mein älterer Bruder aus Scham den Freitod gewählt hatte, war ich noch zu klein. Meine Mutter war nicht ansprechbar und betete ständig. Für sie war das alles eine Prüfung Gottes, ein unabwendbares Schicksal. Dennoch verfluchte sie den Zuzlo immer wieder. Wenige Monate später brach die Revolution aus. Auf dem Landsitz herrschte Aufregung, man bereitete sich auf die Flucht vor. In der letzten Nacht vor der Abreise nahm ich das Gewehr meines Vaters und erschoss den Zuzlo durch das Fenster. Er starb äußerst qualvoll, weil ich seinen Magen getroffen hatte. Niemand verdächtigte mich, man schob den Tod den Revolutionären in die Schuhe.«
    Nikolai machte eine Pause und starrte vor sich auf die Fotos. Sanft berührte er sie mit den Fingerkuppen sein Gesicht war weich, er schien zu lächeln.
    »War flohen mit der Familie des Großgrundbesitzers zuerst nach Süden und dann nach Osten. Keiner kam auf die Idee, es in der anderen Richtung zu versuchen, Polen war nicht weit. Möglich, dass alle dachten, der Revolutionsspuk sei schnell vorbei. Eines Tages war meine Familie verschwunden. Wie ich auch

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