Der König von Sibirien (German Edition)
Wasserfässer des Waschraums für den Abend auffüllte.
»Du schwules Arschloch, mit dir rede ich nicht.«
Mit einer Schnelligkeit, die den Strafgefangenen verblüffte, packte Alexander ihn mit der gesunden Hand am Kragen. Ganz ruhig fragte er ein zweites Mal. »Was hat das zu bedeuten?«
Der Plenni schaute in Alexanders Augen und senkte den Blick.
»Nebenan bauen sie eine Anlage oder so was, um das Bauxit zu verarbeiten.«
Alexander Tag wieder in der Baracke und gab sich seiner Gedankenwelt hin. Es bereitete ihm ein Höchstmaß an Zufriedenheit, Pläne zu schmieden, von denen außer ihm keiner eine Ahnung hatte. Mehr und mehr wuchs in ihm ein euphorisches Gefühl, er glaubte, endlich seine Zukunft mitbestimmen zu können.
Am Nachmittag wurde er erneut dem Natschalnik-Olp vorgeführt. Neben ihm stand der Lagerarzt.
»Seit wann hat 112 F über die Schmerzen in der Brust geklagt?«
»Seit drei oder vier Wochen, Genosse Hauptmann.« Alexander sprach den Arzt mit seinem Rang an.
»Nicht schon länger?«
»Nein, Genosse Hauptmann.«
»Kaum zu glauben. Hatte er starke Atembeschwerden?«
»Jawohl, Genosse Hauptmann.«
»Und er ist immer noch in den Berg gegangen?«
»Jawohl, Genosse Hauptmann.«
»Daran sollten sich andere mal ein Beispiel nehmen.«
Für diese Bemerkung hätte Alexander den Arzt am liebsten umgebracht. Fehlte nur noch, dass sie Rassul postum einen Orden verliehen.
»Die Lunge total zu, die Herzkranzgefäße verengt, und immer noch für den Sozialismus bereit. Da sollten sich andere mal ein Beispiel nehmen.«
Der Arzt verließ den Raum.
»So, wie es aussieht, 196 F, bist du noch einmal davongekommen. Aber das nächste Mal werde ich dich schon noch zu fassen kriegen.«
»Jawohl, Genosse Natschalnik-Olp.«
Erstaunlicherweise schienen die Bewohner der Baracke des Lagerbezirks F Alexander zu respektieren. Sie hänselten ihn nicht, keine Schimpfworte und keine Andeutung über den Vorfall im Waschraum. Erst recht akzeptierten sie ihn, als er am kommenden Tag wieder mit ihnen in den Berg musste und Alexander wie wild schuftete.
Wolkow, sein Brigadier, sah es mit Wohlwollen. In einem Seitengang stellte er Alexander zur Rede.
»Wenn du irgendwann ein Wort ausplauderst., bringe ich dich um.« Er ließ das Messer aufblitzen. »Hast du mich verstanden?«
»Natürlich.«
»Und wenn du wieder ganz gesund bist, dann können wir uns mal im Waschraum treffen. Ich habe bisher noch keinen so weichen Arsch wie den deinen gefickt.«
»Gerne. Aber bring noch ein paar Freunde mehr mit. Mit dir macht es keinen Spaß, du bist nämlich ein miserabler Ficker«
Wolkow stutzte. Irritiert ging er davon.
Nach dieser Szene sah ihn Wolkow immer sonderbar an, aber Alexander erhielt zur Verwunderung aller stets das größte Stück Brot und den ersten Schluck Wasser. Auch das Plansoll erfüllte er mehr als üblich, die Zigaretten, sein Lohn, häuften sich unter der Zeltplane der Liege. Meist tauschte er sie gegen Wodka ein, den er gemeinsam mit seinen Mithäftlingen in der Baracke trank. Als nur noch ein letzter Rest in der Flasche war, glitt diese einem aus der Hand und zerbrach, worauf sich zwei Mann auf den Boden warfen und den mit Schmutz vermischten Rest aufleckten.
Der Schlächter eröffnete an einem Sonntag den Barackeninsassen, dass seine Brigade und eine andere eingesetzt werden, um außerhalb des Lagers einen Bereich einzuzäunen. Gleich morgen ginge es los. Da die Jahreszeit vorangeschritten und die Tage länger geworden waren, standen die Strafgefangenen bereits früh um fünf Uhr auf. Der Boden, längst frei von Frost, war weich und leicht zu bearbeiten. Zuerst hoben die Gefangenen im Abstand von fünf Metern Löcher aus, in die sie mit Teer getränkte Pfosten aus Holz stellten. Der wieder aufgefüllte Boden wurde mit einem Stampfer verdichtet. Mehr als vierhundert Meter war das Areal lang, welches die Häftlinge einzugrenzen hatten, und fast genauso breit. Schon am Abend standen alle Pfosten in Reih und Glied.
Am nächsten Tag kam dann der Stacheldraht. Wegen der Steifigkeit der Konstruktion zuerst immer über Eck gespannt, wurde Reihe für Reihe provisorisch befestigt, um am Ende, wenn alles ausgerichtet war, die gezackte Umzäunung festzurödeln und zu spannen.
Gerade hatte man mit dieser Tätigkeit begonnen, als ein singendes, peitschenartiges Zischen, übertönt von einem infernalischen Schrei, die Gefangenen innehalten ließ. Gebannt schauten alle in die Richtung und bekamen gerade noch mit,
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