Der König von Sibirien (German Edition)
der Bulldozer angehalten wurde, der Fahrer, er war kein Strafgefangener, die Kabinentür öffnete und zögernd ausstieg. Er ging in die Hocke, richtete sich wieder auf und schien sich dann die Haare zu raufen.
Schnell bildete sich ein Kreis von Menschenleibern. Jeder sah den Arm, der unter dem Gerät hervorlugte. Und wo ein Arm ist ...
»Verdammt, da liegt einer drunter. Wer ist es denn?«
Brigadier Wolkow war inzwischen auch herangekommen, erkannte die Lage und erstarrte. Als entfalteten seine Augen ein Eigenleben, suchten diese Alexander. Aber der stand ganz weit hinten und gab sich total unbeteiligt.
»Er ist tot«, sagte einer der Häftlinge, der sich gebückt und den Puls gefühlt hatte.
»Und wenn ihm nur der Arm abgerissen worden ist?« bemerkte ein anderer makaber.
Wolkow überzeugte sich selbst: Kopf und Schultern lagen unter der Kette.
»Der ist alle. Los, beweg das Ding.« Einem Strafgefangenen befahl er: »Ruf Pagodin, er wird erneut Arbeit bekommen.«
Der Fahrer setzte sich wieder auf seinen Bulldozer und tuckerte einige Meter weiter. Die Umstehenden, einige begannen zu würgen und wandten sich ab, bekamen mit, dass von dem Mann nicht mehr viel übriggeblieben war. Der ganze Oberkörper war zu einer unförmigen Masse zerquetscht und mit Erde vermischt.
»Ich krieg' die Schuhe.«
Wütend ruckte Wolkow in die Richtung des Sprechers, der sich hinter den Rücken der anderen verschanzte.
»Verdammt, er hat ja ein Seil um den Fuß.«
Wie eine Erscheinung verfolgten alle den Weg des Seiles. Um einen noch stehengebliebenen Baum verlief es zurück bis zum Ende des Fahrzeuges, wo es hinter einem Metallhaken eingeklinkt war.
Einer der Strafgefangenen fand sofort eine Erklärung für den Unfall. »Er ist in die Schlaufe des Seils getreten, und die Raupe hat ihn an sich herangezogen und zermalmt.«
»Wer ist verantwortlich für das Ausreißen der Bäume?« fragte Wolkow in die Runde.
Ein Mann trat vor.
»Was ist dir aufgefallen?«
»Nichts.«
»Ist jemand in der Nähe gewesen, der nicht dorthin gehört?« Wolkow schielte in Alexanders Richtung.
»Nein.«
Pagodin kam im Laufschritt herbeigeeilt, das Gesicht vor Anstrengung rot. Seine Stimme zitterte vor verhaltenem Zorn. »Wer hat was gesehen?«
Schweigen.
»Gautulin, wo warst du zu dem Zeitpunkt?« Alexander trat vor. »Dort drüben in einem der Gräben, ich habe mit einer Schaufel die Sohle geglättet.«
»Wer war bei dir!«
Zwei Männer meldeten sich. »Es stimmt. Er stand zwischen uns.«
Alexander durfte nach einem warnenden Blick wieder zurücktreten. Das direkte Ansprechen des Natschalnik-Olp zeigte ihm, dass Wolkow der Schlachter ihm von seinem Verdacht Mitteilung gemacht hatte, wahrscheinlich auch von dem Vorfall während des Essens.
Um ganz sicher zu gehen, wie der Unfall abgelaufen war, rekonstruierte man ihn, nachdem ein Trupp die Leiche abtransportiert hatte.
Die Raupe rollte auf den Ausgangspunkt zurück, das Seil wurde um den Baum gelegt und weiter bis zu der Stelle, wo die Schleifspuren auf dem Boden zeigten, dass hier der Ärmste erwischt worden war. An das Seil befestigte man ein Stück Holz, und alle Sträflinge mussten sich auf ihren Platz stellen, den sie während des Geschehens innehatten. Auf einen Wink von Pagodin fuhr der Bulldozer los. Exakt an der gleichen Stelle, an der der Körper zermalmt worden war, geriet jetzt das Stück Holz unter die Kette. Dem Fahrer war durch den hohen Vorbau des Motors und den wuchtigen Auspuff der Blick verwehrt, ihn traf keine Schuld.
»Eindeutig Unfall«, lautete Wolkows Kommentar, ohne Pagodin den Vortritt zu lassen.
»Trotzdem wird es eine Untersuchung geben. Zwei Tote innerhalb einer Woche, das ist zuviel. Was wohl Moskau darüber denkt?«
Genau das war Pagodins Problem. Dass zwei Strafgefangene umgekommen waren, interessierte ihn nicht sonderlich. Ihn beschäftigte allein der Umstand, wie man die Vorgänge in Moskau bewerten würde. Besonders schlimm war nur, dass er sich als der Verantwortliche des Lagerbezirks unangenehmen Fragen ausgesetzt sah.
Die Häftlinge warteten auf die Untersuchung, aber die wurde zur Überraschung aller nicht eingeleitet. Dafür spielten sich seltsame Dinge im Lager ab. Eines Tages fuhren Militärfahrzeuge vor, und Soldaten errichteten schöne Holzbaracken mit Duschen und Toiletten. Gleich nebenan kam eine Kantine, dazu auch noch ein Gebäude für die Freizeit mit einer Tischtennisplatte. Die Strafgefangenen wussten nicht, wie ihnen geschah, und
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