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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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der Duft.
    »Ruf Pagodin«, kommandierte Wolkow in ungewohnt gemäßigter Lautstärke. I in das Zittern seiner Knie wieder in den Griff zu bekommen und keinen merken zu lassen, wanderte er mit kleinen Schritten umher.
    Pagodin baute sich auf, blickte in die Runde und sagte kein Wort. Dann umkreiste er den Loten und inspizierte den Boden, als gäbe es dort noch Spuren zu entdecken. Schließlich schnupperte er widerwillig, weil er dem toten Häftling sehr nahe kommen musste. Anschließend flüsterte er Wolkow etwas ins Ohr und verschwand.
    »Wir müssen alle hier bleiben, keiner rührt sich von der Stelle.«
    In fünf Minuten waren die Gefangenen vom Wachpersonal umzingelt, die Gewehre im Anschlag. Kurz darauf erschien der Lagerarzt, um sich den Erhängten anzusehen.
    »Eindeutig Tod durch Strangulieren«, verkündete er den Männern keine Neuigkeit. Bei der dicken Zunge!
    »Und der Wodkageruch?«
    Der Arzt schaute Pagodin an. »Ich muss ihn aufschneiden und untersuchen.« Sein Gesicht ekelte sich schon jetzt vor der Arbeit, die auf ihn zukam. Aber Wodka würde er bestimmt nicht feststellen, der war nämlich streng verboten.
    Der Tote wurde aus der Drahtschlinge befreit, und alle erkannten, es war der gleiche Draht, der auch die Matten zusammenhielt. Es war aber keine richtige Schlinge, in die der Kopf geraten war, sondern eine Schlaufe, die jetzt wie ein Halbkreis herunterbaumelte. Durch sein eigenes Körpergewicht hatte sich der Arme ins Jenseits befördert. Fragte ist nur, wie er mit dem Kopf hineingeraten konnte. War der Wodka die Erklärung?
    Der Natschalnik-Olp führte die Untersuchung, und er tat es mit der von ihm erwarteten Gründlichkeit. Lange befragte er alle Strafgefangenen, am ausführlichsten Alexander.
    Pagodin, beide Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt, beugte sich nach vorn. »Häftling 196 E, gibt dir der Tote nicht zu denken?«
    »Nein, Genosse Natschalnik-Olp.«
    »Drei Männer in so kurzer Zeit ums Leben gekommen. Das ist doch kein Zufall mehr.«
    »Ich weiß nicht, Genosse Natschalnik-Olp.«
    »Sind das nicht drei von denen gewesen, die dir im Waschraum so zugesetzt haben?«
    »Ich habe die Männer nicht erkannt, Genosse Natschalnik-Olp.«
    »Aber im Fieber hast du Namen genannt.«
    »Ich kann mich nicht erinnern, Genosse Natschalnik-Olp.«
    »Jetzt sind drei der Missetäter tot. Fühlst du nicht Genugtuung?«
    »Nein, Genosse Natschalnik-Olp. Ich habe die Männer damals durch mein Verhalten provoziert.«
    »Jetzt rede keinen Quatsch. Die haben sich an dir vergangen.«
    »Nein, Genosse Natschalnik-Olp. Erinnern Sie sich bitte an das Blatt, das ich unterschrieben habe. Ich bin ein Homosexueller.«
    Pagodin kochte. »Aber du und ich, wir wissen doch, es befindet sich nur in den Akten, um denen da oben«, sein Daumen deutete gegen die Decke, »eine Erklärung zu liefern.«
    »Das kann ich nicht beurteilen, Genosse Natschalnik-Olp. Aber Sie haben außerdem die Fotos, Rassul und ich, und die sind sehr eindeutig. Finden Sie nicht auch, Genosse Natschalnik-Olp?«
    So ging das immer hin und her. Pagodin wollte Alexander mit der Wahrheit kitzeln, er wisse doch genau, was man ihm damals angetan habe, das hätte ja schließlich jeder gesehen, der später hinzugekommen sei. Alexander dagegen verwies auf den Text, den er unterschrieben hatte, und auf die Fotos.
    Es war nicht die Art, wie er das tat, sondern der Umstand, dass ein Strafgefangener den Natschalnik-Olp mit seinen eigenen Waffen schlug, und zwar so wirkungsvoll, dass er, der große Lagerpolitruk, nichts dagegen unternehmen konnte. Nach zwei Stunden sprang Pagodin erregt auf, packte Alexander an der Jacke und schüttelte ihn.
    »Ich werde aus dir die Wahrheit herausprügeln lassen, mein Lieber.«
    »Jawohl, Genosse Natschalnik-Olp. Gestatten Sie mir eine Frage?«
    Irritiert schaute der Lagerpolitruk den Gefangenen an.
    »Bitte.«
    »Glauben Sie an die Vorsehung, Genosse Natschalnik-Olp?«
    »Was soll das?«
    »Bitte beantworten Sie meine Frage, Genosse Natschalnik-Olp.«
    Folgsam entgegnete Pagodin: »Nein. Ich bin für die Logik.« Als Alexander schwieg, wollte er wissen, was das zu bedeuten habe.
    »Ist es nicht seltsam, wie mir die Vorsehung hilft, Genosse Natschalnik-Olp?«
    »Inwiefern?«
    »Wenn es wirklich drei der vier Männer sein sollten, wie gesagt, ich habe sie damals nicht erkannt, Genosse Natschalnik-Olp, dann hilft mir doch die Vorsehung.«
    »Wieso?«
    »Obwohl ich immer sehr weit von dem Geschehen entfernt war, hat die Vorsehung

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