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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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umgebracht, darunter zwei echte Blatnoij, weil ich überleben wollte, so wie du. Schnell hatte ich meinen Ruf weg. Deswegen haben mich später in 60/6 alle so geachtet. Es ist wie in der Natur: Nur der Kräftigste überlebt. Und wir« - er schaute sich in der Baracke um -, »wir sind die wilden Tiere.«

    Die Sonne wagte sich wieder einmal hervor und überflutete die weiße Landschaft für wenige Stunden. Ein beschauliches Bild, die Schneeverwehungen und der blaue Himmel, das jede Ansichtskarte hätte zieren können.
    Die Strafgefangenen saßen gerade in der Kantine, als die Lautsprecher an der Decke knisterten. Verwundert schauten sie hoch. Schon so früh eine Durchsage des Natschalnik?
    Unvermittelt setzte Marschmusik ein, und anschließend noch ein Triumphmarsch. Ähnlich dem, als der amerikanische Präsident Kennedy ermordet worden war, erinnerte sich Alexander. Schließlich meldete sich mit gedämpfter Freude, als sei sie verordnet worden, eine Stimme, die verkündete, Nikita Chruschtschow - seit September 1953 erster Sekretär der KPdSU und im März 1958 als Ministerpräsident Nachfolger von Parteifeind Bulganin, einem ehemaligen Tschekisten, den man seiner Ämter enthoben hatte -sei entmachtet worden. Zum neuen starken Mann im Staate habe man Leonid Breschnew gewählt. Ausführlich wurde der politische Werdegang von Breschnew geschildert, vom Zentralratsmitglied über das Präsidium der Partei bis zum Vorsitzenden des Obersten Sowjet.
    Parteichef Breschnew, mächtigster Mann neben ihm war fortan Ministerpräsident Kossygin, richtete einige Worte an sein Volk und versprach, dem Sozialismus endlich zum Sieg zu verhelfen. Zuerst aber müsse der Staat von allen Schmarotzern, Kollaborateuren und Kapitalisten gereinigt werden - das war eine diskrete Umschreibung für den Misserfolg, den man Chruschtschow in der Kubakrise unterstellte, und deren Folgen es nun zu beseitigen gelte. Unverhohlen wurde jedoch der Vorwurf ausgesprochen, der Entmachtete habe den Konflikt mit dem selbstbewussten kommunistischen China unter Mao Tse-Tung provoziert.
    »Ob es jetzt besser wird?« Klimkow strich sich nachdenklich den Bart.
    »Was soll sich schon ändern?«
    »Immerhin hat Chruschtschow zwei Jahre nach Stalins Tod viele Strafgefangene amnestiert. Und er hat über eine Million Soldaten entlassen. Viele sind kriminell geworden, haben sich Banden angeschlossen oder selbst welche gegründet.«
    Alexander schob ein Stück mit Dickmilch bestrichenes Roggenbrot in den Mund, als Brotaufstrich gab es auch noch Rübensirup, und kaute genüsslich. »Sag nur, du hoffst wieder auf eine Amnestie.«
    »Wer weiß? In der großen Politik ist alles möglich.«
    »Und vorhin die starken Worte? Bedeutet das nicht, dass sich die Lager füllen? Kollaborateure findest du an jeder Straßenecke. Falls mal keiner da sein sollte, machen sie dich dazu.«

    Was niemand für möglich gehalten hatte: Alexanders Bein wuchs zusammen. Als Janis nach acht Wochen, er hatte zwei zugegeben, den Stiefel von Alexanders linkem Fuß entfernte, da schlug ihnen zuerst bestialischer Gestank entgegen, denn der nie gelüftete, ungewaschene Fuß starrte vor Dreck. Außerdem war die Haut weich und ließ sich wie bei einer Pellkartoffel abziehen. Vorsichtig löste Janis die Hölzer, dann Tag der Unterschenkel frei. Kein schöner Anblick. Zum einen war der Bruch nicht exakt verheilt, im Schienbeinknochen selbst war ein Knick. Zum anderen war die betreffende Stelle stark angeschwollen und schillerte in den Farben Blau und Braun.
    »Los, steh auf und geh mal ein paar Schritte.« Alexander humpelte unsicher durch die Baracke und spürte nicht mehr Schmerzen als sonst auch.
    »Tut das weh?« Janis klopfte auf die Verdickung. »Und ob. Lass die Finger davon.«
    »Wird auch noch in einigen Jahren schmerzen. Außerdem kündigt sich in Zukunft jeder Wetterumschwung in deinem Bein an.«
    »Kann nur von Vorteil sein«, scherzte Alexander.
    Zuerst protestierte er, dann ließ er Janis gewähren, der das Bein erneut schiente, nachdem es gereinigt war. Dazu benötigte er jetzt aber nur noch zwei der Holzstäbe. Janis betrachtete sein Werk. »Wenn mir das einer erzählen würde, ich könnte es nicht glauben.«
    Alexander fühlte sich nicht mehr gehandikapt und Pagodin wieder ebenbürtig. Den Mithäftlingen kam es trotz allem seltsam vor, mit welchem Elan er sich wieder an die Arbeit machte, als hätte er einiges aufzuholen.
    Ende November entfernte Janis auch die restliche Stütze. Genau zum

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