Der König von Sibirien (German Edition)
Schneetreiben des Herbstes. Nadeike fluchte ununterbrochen und in einer Sprache, die Alexander nicht verstand. Nach einer Weile erklärte er auf Russisch, er habe seine Schneeketten in Nyda gelassen, weil er dachte, er sei rechtzeitig wieder zurück.
Gegen Mittag kamen sie nur noch schlingernd voran. Manchmal dachte Alexander, sie würden in einem der tiefen Schlaglöcher stecken bleiben oder umkippen, so gefährlich neigte sich der Aufbau des Lastwagens zur Seite.
Die Straße endete am Fluss Nadym. Nadeike steuerte den Lkw südwärts, und sie erreichten nach wenigen Kilometern eine Hütte und eine Fähre. Dort konnte man auch Kraftstoff tanken. So weit im Norden und außerhalb einer Stadt ist das eine Seltenheit. Nadeike bezahlte in Dollar, erst danach setzte sie der Fährmann über. Das dauerte fast eine Stunde, denn der Nadym war sehr breit, wie alle Flüsse nahe des Eismeeres.
»Noch einen halben Tag bis Nyda, dann werde ich meinen Rotz hier los. Mir wird wohler sein. Vor Landpiraten musst du höllisch aufpassen. Weiter nach Tasowksij fahre ich nur, wenn ich mich einem Militärkonvoi anschließen kann.«
Das Schneetreiben nahm zu, und eine Stunde später fuhren sie durch Nori, eine kleine, unscheinbare, in Weiß getauchte Stadt mit einem zentralen Hetzkraftwerk. Der sternförmig mit Stahlseilen verankerte Schornstein stieß dunklen Rauch in den Himmel, der sich wie unter Protest wieder auf die Erde senkte, das Atmen erschwerte und die Augen reizte.
»Verfeuern hier nur mit Dreck vermischte, nasse Kohleabfälle. Ich verstehe nicht, wie das die Leute aushalten können«, beschwerte sich Nadeike und hustete.
Nyda errichten sie kurz vor Mitternacht, abermals wurden sie kontrolliert und in eine Liste eingetragen. Außerdem musste Nadeike auch noch das Hotel angeben.
»Hotel, dass ich nicht lache. Ein Dreckschuppen ist das. Keine Duschen, nur eine Toilette und ein Waschbecken. Dafür jedoch darfst du auf ausrangierten Metallbetten der Armee schlafen, falls sie inzwischen nicht durchgerostet sind. Und wenn dein Vormieter einigermaßen sauber war, das kommt allerdings nur selten vor, stinkt die Bettwäsche nicht allzu sehr. Zumindest«, Nadeike zwinkerte ihm vertraulich zu, »legt man keinen Wert auf gewisse ... Formalitäten. Du brauchst also nichts auszufüllen und so.«
Nyda war wesentlich kleiner als Salechard und längst nicht so bedeutungsvoll. Zwar verdeckte der Schnee einiges, aber die Ärmlichkeit des Nordens schimmerte bei den kleinen Anwesen, die einen Anstrich dringend nötig hatten, durch. Viele von ihnen waren provisorisch für den Winter hergerichtet worden, wie die neuen, unbehandelten Bretter zeigten. An Stelle der zu Bruch gegangenen Glasscheiben, eine Mangelware in dieser Region, dichteten mit Stoff umwickelte Konstruktionen die Öffnungen notdürftig ab. Was Alexander sofort auffiel, waren die dünnen, schiefen Schornsteinrohre aus Blech, die mit Brettern abgestützt oder mit Seilen verspannt worden waren, um dem Wind zu trotzen. Etliche der Bewohner hatten sich originelle Gebilde einfallen lassen und auf die Spitze des Kamins montiert, einige davon rotierten sogar, damit die darunterliegende Feuerstelle auch bei Sturm funktionierte und nicht das Haus verräucherte.
Nadeike stellte seinen Lastwagen in einer Art Garage unter, die verschließbar war. »Zehn Dollar«, knurrte er nur und setzte die Flasche an. »Hier, mach dir ein paar schöne Stunden. Und morgen früh gehst du zu Rudenkow und kaufst dir was zum Anziehen. Wird bald Winter.«
Nadeike schob Alexander 100 Dollar hin, stand auf und ging in die Nacht.
Am Morgen weckte Nadeike Alexander und zeigte ihm den Laden von Rudenkow: ein gedrungenes Haus mit einem mächtigen gemauerten Schornstein, weißen Fensterrahmen und blauen Klappläden.
Rudenkow war gut sortiert. Er möge bitte alles aufschreiben, er, Nadeike, käme nachher vorbei, um zu bezahlen.
Alexander wählte eine knielange gefütterte Jacke, dazu warme Hosen, Unterhosen, Wollstrümpfe, Handschuhe und eine schwere Schapka mit Ohrenklappen, die ihm bis zum Hals reichten.
Wenig später machte er sich wie verabredet auf den Weg zum Treffpunkt mit dem Abnehmer der restlichen Kisten Corned Beef. Die Miliz, unverkennbar ihre grauen Uniformen, war auch schon da. Alexander wollte sich verdrücken, aber hinter ihm stoppte gerade ein weiteres Polizeifahrzeug. Als sei er unbeteiligt und zufällig hinzugekommen, schlenderte er weiter.
Nadeike, um den Kopf trug er einen Verband, an einer
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