Der Königsberg-Plan: Thriller (German Edition)
wenigen Sekunden erreichten sie einen kleinen eckigen Turm, der sich als vorgelagertes Eingangstor entpuppte. Sie liefen durch den offenen Torbogen einen Kiesweg hinauf, bis sie plötzlich vor dem Chateau standen. Tatsächlich waren sämtliche Fenster verschlossen. Parker rüttelte an der mächtigen Eingangstür aus dunkler Eiche, die jedoch fest in ihrem Schloss lag.
„Warte hier“, trug ihm Zoé auf. „Es gibt ein Versteck für den Schlüssel. Ich hole ihn.“
Bevor er etwas erwidern konnte, war sie schon hinter dem Haus verschwunden. Da er nicht wusste, was er sonst machen sollte, setzte er sich vor der großen Eingangstür auf die steinernen Stufen, lehnte sich mit dem Rücken an die Tür und blickte in den Himmel. Die Wolken hingen in langen Reihen über ihm und zogen endlose Bahnen. Er schloss müde die Augen. Ob Maria geflüchtet ist? Wusste sie, dass sie in Gefahr ist? Wenn ja, woher? Er merkte, wie die Gedanken allmählich in seinem Kopf verblassten. Er öffnete die Augen, um nicht einzuschlafen – und zuckte erschrocken zusammen. Genau vor ihm stand ein alter Mann mit einer Schirmmütze auf dem Kopf und einem Schrotgewehr in den Händen. „Haut les mains!“
Parker nahm die Arme hoch und stand auf.
„Ne bouge pas!“
Der Mann war eher klein gewachsen und vermutlich weit über siebzig Jahre alt. Er hatte braune, flinke Augen und einen Knebelbart.
„Je cherche Maria.“ Parker versuchte zu lächeln. „Je suis un ami!“ Den Alten schien das nicht sonderlich zu beeindrucken. Mit dem Finger am Abzug verharrte er regungslos.
„Maria. La grand-mère de Zoé?“ , fragte Parker nochmals, diesmal erheblich unfreundlicher.
„Was wollen Sie von Maria?“, ertönte plötzlich in akzentfreiem Deutsch eine weibliche Stimme von hinten.
Behutsam drehte Parker sich um. Eine Frau war hinter seinem Rücken lautlos an ihn herangetreten. Als er in ihr Gesicht schaute, verschlug es ihm den Atem. Völlig perplex ließ er die Arme sinken.
„Ne bouge pas!“ Doch der Befehl des Alten drang nicht mehr zu ihm durch. Zu sehr war er von der Erscheinung der Frau gebannt. Zoé war erst vor wenigen Augenblicken hinter dem Haus verschwunden – und jetzt stand sie um Jahrzehnte gealtert mit den Händen in der Schürze vor ihm. Dasselbe ebenmäßige Gesicht mit den hohen Wangenknochen – nur überzogen von zahllosen Falten. Dieselbe Stimme – nur etwas brüchiger. Derselbe seidene Glanz in den blauen Augen – ungetrübt trotz der vielen Jahre.
Unwillkürlich streckte Parker die Hände aus, um die Frau in die Arme zu nehmen. Flink trat sie einen Schritt zur Seite und zog ihre Hände aus der Schürze. Entsetzt wich er zurück, als er erkannte, was die alte Frau in der Schürzentasche verborgen hatte. In den faltigen Händen lag eine kugelförmige Handgranate.
„Ich nehme an, Sie wissen, was ich hier habe, junger Mann?“, fragte sie beiläufig.
Geschickt zog sie den kleinen Metallbügel aus dem Verschluss der Granate. Parker hielt die Luft an.
„Die Granate ist jetzt scharf. Nur der Seitenbügel, den ich noch festhalte, verhindert im Moment die Explosion.“ Ohne es zu wollen, erinnerte sich Parker an die erste Begegnung mit Falkenhayn. Diese Generation hat einen unglaublichen Hang zum Dramatischen.
Die Augen der Frau fixierten ihn eindringlich. „Sie werden jetzt genau das tun, was ich Ihnen sage. Sonst lasse ich den Bügel los, und Sie verlassen diese Insel nicht mehr lebend. Verstanden?“
Er erwiderte den scharfen Blick. „Das Gleiche gilt für Sie, Madame!“
Sie schaute ihn mitleidig an. „Ich bin fast neunzig, junger Mann. Da schreckt der Tod einen nicht mehr ganz so sehr.“
„Aber vielleicht würden Sie gerne vorher noch mal Ihre Enkelin wiedersehen?“
„Meine was?“
Parker hatte Angst, sie würde vor Schreck die Granate fallen lassen. In diesem Augenblick gellte ein Freudenschrei über die Insel.
„Mamie Marie!“ Jauchzend kam Zoé auf sie zugelaufen und blieb dann verdutzt vor ihnen stehen. „Was soll das? Seit wann schleppst du denn eine Handgranate mit dir herum?“ Sie fasste ihre Großmutter sanft am Arm. „Darf ich dir Benjamin Parker vorstellen? Er ist ein Freund von mir.“
„Zoé, was machst du hier?“ Verblüfft schaute Maria sie an, blickte dann von ihr zu Parker, und mit einem Mal löste sich die Anspannung bei ihr.
„Junger Mann“, wandte sie sich an ihn. „Entschuldigen Sie bitte, aber ich wusste nicht, mit wem ich es zu tun hatte. Ich bin Maria und freue mich,
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