Der Königsberg-Plan: Thriller (German Edition)
des Schlosses. Schon im Dezember 1944 haben wir weitere vierzig Kisten anfertigen lassen, die denen mit dem Bernsteinzimmer in Größe und Art haargenau glichen. Dann haben wir sie heimlich genauso beschriftet wie die echten Kisten. Mit Hakenkreuz, Reichsadler und Warnung des Gauleiters vor unbefugtem Öffnen. Dr. Brandner hat nach und nach Bernsteinstücke ins Schloss bringen lassen, mit denen wir die Kisten gefüllt haben. Die meiste Arbeit haben Fritz und ich erledigt, nachts im Schlosskeller bei Kerzenschein.“
„Und dabei hast du dich in ihn verliebt.“ Im klaren Blau von Marias Augen entdeckte Zoé einen zarten Schimmer.
„Während die echten Kisten im Südflügel des Schlosses lagerten, haben wir die falschen zunächst im Nordflügel untergebracht. Später wurden sie dann ausgetauscht. Keiner hat etwas gemerkt, da Brandner die alleinige Oberaufsicht über das Königsberger Bernstein hatte und im Schloss nach Belieben schalten und walten konnte.“
„Warum hat Brandner Ihnen geholfen?“, fragte Benjamin. „Er ging damit doch ein immenses Risiko ein.“
Auch Zoé fand das erstaunlich. Der Museumsdirektor hatte ohne jeden Zweifel mit seinem Leben gespielt.
„Tja. Brandner war ein Glücksfall für uns. Foch hatte das Bernsteinzimmer schon im Juni 1944 nach einem Museumsbrand vorsorglich abbauen lassen. Als Thalberg und Fritz davon erfuhren, witterten sie sofort die Chance, die Paneele aus dem Schloss zu stehlen. Allerdings gab es ein großes Problem. Die FHO hatte keinen Zugang zu Dr. Brandner. Und ohne die Hilfe des Museumsdirektors schien die Operation von vornherein aussichtslos zu sein. Es war also ganz entscheidend, Brandner für unsere Sache zu gewinnen.“ Maria atmete aus und warf Zoé einen Blick über den Rand ihrer Teetasse zu. „So kam ich ins Spiel. Ursprünglich war ich nur eine von vielen Stabshelferinnen der FHO, die abgehörte russische Funksprüche übersetzte und Kaffee für die Offiziere kochte, wenn es welchen gab. Aber eines Abends zitierte Thalberg mich herbei und erklärte mir ohne Umschweife den Auftrag. Das war’s. Schon am nächsten Tag begann meine Ausbildung. Ich lernte das Schloss bis ins Detail kennen: die Dienststellen und Behörden, die Zimmer, Säle, Türme, das Kellergewölbe und den Gasthof Blutgericht, in dem sich Foch und seine Spießgesellen oft bis zur Besinnungslosigkeit betrunken haben. Ich wusste genau, wer im Schloss ein und aus ging. Jede Kleinigkeit habe ich mir eingeprägt. Mit verbundenen Augen hätte ich im Schloss nach Belieben umherwandeln können.“
Fasziniert hörte Zoé weiter zu. „Fritz hat mir gezeigt, wie sich jede Tür, jeder Schrank und jeder Schreibtisch mit dem passenden Dietrich öffnen ließ. Sogar einige Tresore waren nicht mehr sicher vor mir. Mein Auftrag lautete, Brandners Schwächen und dunkle Geheimnisse auszuspionieren. Ich sollte Thalberg etwas bringen, mit dem er den Museumsdirektor unter Druck setzen konnte.“
„Hat denn Brandner keinen Verdacht geschöpft?“, schaltete sich Benjamin ein. Eine Hand lag auf seinem Brustkorb, genau dort, wo Falkenhayns Gewehrkolben ihn getroffen hatte.
„Nein.“ Marias Blick war stolz. „Ich war sehr vorsichtig. Ich bin nur in Brandners Räume eingedrungen, wenn der Direktor nicht im Schloss war. Ich habe nie etwas entwendet, sondern die interessanten Dokumente nur fotografiert. Brandner hat nichts geahnt und mir rückhaltlos vertraut, was auch daran lag, dass ich eine gute Legende hatte. Die FHO hatte dafür gesorgt, dass mich die zuständige Verwaltung für staatliche Schlösser und Gärten in Berlin offiziell als seine neue Assistentin nach Königsberg beorderte. Brandner hatte schon mehrfach um eine Hilfe gebeten, doch seine Gesuche waren immer wegen vorrangiger Bedürfnisse der Heimatfront abgelehnt worden. Meine Legende stimmte in vielen Punkten mit meinem früheren Leben überein, da keine Zeit mehr für den Aufbau einer vollständig neuen zweiten Identität bestand. So bin ich auch als FHO-Agentin in Hannover aufgewachsen.“
„Und welchen Namen haben Sie dir gegeben?“ Zoé erwartete einen konservativen, schwergewichtigen Namen, vielleicht etwas Adeliges.
„Meinen Namen habe ich mir selbst ausgesucht.“
„Und, wie lautete er?“
Ein offener, warmer Blick ihrer Oma traf sie und strich über ihr Gesicht. „Maria Adler.“
„Maria Adler?“ Zoé musste schwer schlucken. „Aber das ist doch dein Name?“ Fassungslos starrte sie ihre Großmutter an. „Du bist gar
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