Der Königsberg-Plan: Thriller (German Edition)
Bilder zeigen ehemalige Angehörige der Führungsebene des BKA. Heute alles längst vergreiste oder verstorbene Herren. Ich will dich nicht mit den Biographien jedes einzelnen langweilen. Exemplarisch reicht eigentlich schon dieser höhere Polizeibeamte.“ Der Innenminister zeigte auf das Bild eines knapp vierzigjährigen Mannes. „Vor dir siehst du Theodor Saevecke, Ende der fünfziger Jahre Referatsleiter beim BKA für das Ressort Hoch- und Landesverrat und seit 1962 stellvertretender Leiter der Sicherungsgruppe Bonn. Saevecke war maßgeblich an der Spiegel -Affäre, der Verhaftung Rudolf Augsteins und anderer Journalisten des Spiegel beteiligt.“ Der Minister drehte sich erneut zu ihr um und lächelte sie schief an. „Hier auf dem Foto trägt er allerdings noch die Dienstkleidung seines früheren Arbeitgebers, der SS, wo er es bis zum Gestapochef von Mailand gebracht hat. 1999 wurde er von einem italienischen Gericht in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt wegen der Erschießung von Widerstandskämpfern. Unnötig zu erwähnen, dass die Bundesrepublik eine Auslieferung von Herrn Saevecke nach Italien strikt abgelehnt hat.“ Reißfeld räusperte sich. „Oder nehmen wir den hier.“ Erneut erschien ein Mann in SS-Uniform auf der Leinwand. „Paul Dickopf, seit 1965 Präsident des BKA, vor 1945 war er SS-Untersturmführer.“
„Arno“, unterbrach sie seinen Redefluss. „Ich bin ein Kind der DDR, wie du weißt. Mir brauchst du über die faschistische Vergangenheit vieler Amts- und Würdenträger der Bundesrepublik keinen Vortrag zu halten. Das habe ich alles schon zur Genüge in der Schule gehört.“
„Ich rede nicht über die nur oberflächliche Entnazifizierung von Führungsleuten in der Adenauer-Zeit.“ Reißfeld drehte seinen Rollstuhl um die halbe Achse und schaute sie eindringlich an. „Ich versuche, dir klarzumachen, dass unsere Polizei bis in die siebziger Jahre systematisch mit tiefbraunen Seilschaften durchsetzt war. Versteh doch, beim BKA und den Landeskriminalämtern sind nicht etwa nur ein paar Altnazis durch das Sieb gefallen. Es war umgekehrt: Versehentlich scheinen auch ein paar unbelastete Kriminaler Aufnahme gefunden zu haben.“
Skeptisch befreite sie ihre rechte Hand von der Schwere ihres Hauptes und lehnte sich zurück. „Ich weiß nicht.“
Mit ungehaltener Miene schüttelte Reißfeld den Kopf. „Von den insgesamt siebenundvierzig Führungsleuten unserer Bundespolizei hatten Ende der fünfziger Jahre nur genau zwei keine nationalsozialistische Vergangenheit.“ Ihr Minister hob seine rechte Hand mit gespreizten Zeige- und Mittelfinger wie ein Victory -Zeichen. „Du kannst also ohne jede Übertreibung sagen, dass der gesamte Polizeiapparat des Bundes damals von Altnazis geführt wurde, von denen viele ganz erheblich in die Judenverfolgung und andere Verbrechen des Regimes verstrickt waren.“
„Und du glaubst wirklich, dass diese Nazi-Opas noch heute das BKA kontrollieren?“
„Entweder die alten braunen Kameraden selbst oder die von ihnen herangezüchteten Nachfolger.“ Reißfeld rollte den fahrbaren Stuhl mit kräftigen Bewegungen seiner muskulösen Arme an ihren Schreibtisch heran und legte seine rechte Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Tisch. „Oder wie kannst du dir sonst erklären, dass die Polizei die Überwachung der Kreifelts genau in der Nacht abgebrochen hat, in der sie ermordet wurde.“ Regungslos hielt sie seinem Blick stand, während er fortfuhr. „Und dass die streng geheime Masterkennung des Hotel Adlon aus dem BKA-Computer abgerufen werden konnte, von einem Unbekannten, der offenbar über die allerhöchsten Zugangscodes des BKA verfügte?“
Sie musste sich eingestehen, dass sie bisher auch keine plausible Erklärung für die Vorkommnisse gefunden hatte, und machte eine beschwichtigende Handbewegung. „Unsere Sicherheitsorgane sind also von alten und neuen Nazis unterwandert, die das Bernsteinzimmer wie einen Schatz hüten.“
Er zog seinen Arm vom Schreibtisch zurück. „Nach der Ermordung der Anwältin und der Schießerei im Adlon müssen wir davon ausgehen, dass eine Geheimorganisation das Bernsteinzimmer seit Kriegsende in Deutschland versteckt hält.“
„Finde diese Männer, Arno“, sagte sie mit einem Seufzen. „Niemals darf herauskommen, dass die deutsche Polizei beteiligt ist. Das ist dir doch klar?“
„Tja, dann kommen die Amis und Russen zurück.“ Reißfeld faltete seine Hände auf den gefühllosen Oberschenkeln.
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