Der Königsberg-Plan: Thriller (German Edition)
ziehen zu können. Regungslos hatte sie mit halb geschlossenen Lidern auf das Schachbrett gestarrt, aus Angst, sich bei einem Blickkontakt mit ihrem Vater zu verraten.
Als der das drohende Unheil schließlich doch erkannte und versuchte, es mit hektischen Zügen abzuwenden, war es schon zu spät. Unaufhaltsam bahnte sich der weiße Bauer seinen Weg zur schwarzen Grundlinie.
Nie würde sie den Augenblick vergessen, als sie die vermeintlich unterlegene Spielfigur auf das Feld in der letzten Reihe setzte und sofort gegen eine mächtige Dame eintauschte. Vier Züge später gab ihr Vater auf.
Prüfend blickte sie nochmals auf die weiße Spielfigur in ihrer Hand und stellte sie dann entschlossen zurück auf das Brett. Der Damenbauer war nun zwei Felder nach vorne gerückt. Das Spiel hatte begonnen.
Kapitel 3
Nach dem Interview zogen die Sonnenstrahlen Parker auf die Straßen Berlins. An eine Rückkehr ins Adlon war nicht mehr zu denken.
Ohne besonderes Ziel ließ er sich im Strom der Leute treiben. Gemächlich schlenderte er den Prachtboulevard Unter den Linden hinauf, passierte die für ihre pompösen Empfänge berüchtigte Russische Botschaft und kurz darauf die Humboldt-Universität, an der er schon einige Gastvorlesungen gehalten hatte. Die alte Residenz des Preußenkönigs Friedrich II., das spätklassizistische Kronprinzenpalais, ließ er links liegen und lief geradewegs auf den Berliner Dom zu. Das Rote Rathaus und der Fernsehturm auf dem Alexanderplatz leuchteten im Morgenlicht.
Er überquerte den Seitenarm der Spree und gelangte auf die Museumsinsel, wo ihn das Alte Museum mit seiner gewaltigen Säulenfront in seinen Bann schlug.
Von außen nicht erkennbar, hielt es in seinem Inneren eine bauliche Glanzleistung bereit, die auf ihn eine spürbare Anziehungskraft ausübte: die Rotunde, deren Wände mit vierundzwanzig korinthischen Säulen umgeben waren und über der sich eine mehr als zwanzig Meter hohe Kuppel wölbte. Das architektonische Kleinod hatte einige dazu verleitet, vom schönsten Pantheon zu sprechen, das Schinkel je erbaut hatte.
Er näherte sich der weitläufigen Freitreppe, hinter der die Preußische Antikensammlung und vorübergehend auch die Sammlung des Ägyptischen Museums mit der weltbekannten Büste der Nofretete untergebracht waren.
Die berühmte Ägypterin ließ ihn zum zweiten Mal an diesem Morgen an Anne denken.
Vor einigen Jahren hatte er gemeinsam mit Anne der hübschen Gattin des Pharaos Tutenchamun einen Besuch in ihrem damaligen Domizil, dem Ägyptischen Museum in Charlottenburg, abgestattet.
„O Nafteta! Wann wirst du endlich zu deinem Volk zurückkehren dürfen?“, hatte Anne damals theatralisch ausgerufen und dabei die alte Aussprache des Namens mehr oder minder richtig nachgeahmt. „Wäre ich doch nur deine Anwältin!“
Ihr Gesicht hatte dabei einen wild entschlossenen Zug angenommen, und ihr dichter roter Haarschopf war wie Feuer um ihren Kopf gewirbelt. Den Mund mit den vollen Lippen hatte sie leicht geöffnet, während sie völlig verzaubert die ägyptische Herrscherin betrachtete. Die Nilkönigin schien sie magisch anzuziehen.
„Du tust ja gerade so, als ob Nofretete nach Berlin verschleppt worden wäre.“
Sie warf ihm einen spöttischen Blick zu.
„Soweit ich mich erinnere“, hob er an, „hat Ludwig Borchardt, ein zur damaligen Zeit immerhin sehr angesehener Altertumsforscher, sie mit einer einwandfreien Ausfuhrgenehmigung nach Deutschland gebracht.“
„Lupenrein“, bemerkte sie mit einem angriffslustigen Blick in den grünen Augen, „waren Borchardts Papiere zweifellos, nur dass die ägyptischen Behörden gar nicht wussten, dass es sich um Nofretete handelte, als sie die Dokumente ausgefertigt haben.“
Er machte eine abwiegelnde Handbewegung. „Sag bloß, du glaubst die alte Geschichte, dass die Büste mit Lehm unkenntlich gemacht wurde, um den wahren Wert vor den Ägyptern zu verschleiern? Hört sich gut an, lässt sich nur leider nicht beweisen.“
„Abwarten. Vor deutschen Gerichten sind schon ganz andere Dinge ans Tageslicht gekommen“, sagte sie mit einem feinen Lächeln auf den Lippen. „Und bedenke, schon damals war von einer V ermogelung die Rede.“
Parker schmunzelte. „Vielleicht hätten die Ägypter einfach besser aufpassen sollen. Ich meine, ein bisschen getrockneten Nilschlamm hätte man von der Königin ja wohl wegputzen können.“
Sie verzog schmollend den Mund, würdigte ihn keines Blicks mehr und betrachtete
Weitere Kostenlose Bücher