Der Königsberg-Plan: Thriller (German Edition)
Sie schluckte. Der Mann kam jetzt geradewegs auf sie zu. Einen Herzschlag lang befürchtete sie, er wollte sie festnehmen – aber er ging an ihr vorbei, ohne sie überhaupt zu beachten.
Dann hatte sie mit gesenktem Kopf und flachem Atem die Anlage verlassen und ihren versteckten Aussichtspunkt im verschneiten Tiergarten bezogen.
Und nun sah sie mit eigenen Augen, was sie schon die ganze Zeit befürchtet hatte. Der Mann, auf dem all ihre Hoffnungen ruhten, tauchte in Begleitung des Kurzhaarigen auf. Er trug einen Kaschmirmantel, den er trotz des Schneefalls nicht geschlossen hatte, und sein Blick war gesenkt. Sie brauchte seine Augen nicht zu sehen, um seine Niedergeschlagenheit zu spüren.
Sie erinnerte sich an das Foto, das Anne vor zwei Wochen aus ihrem edlen, mit dunkelrotem Leder bezogenen Terminkalender gefischt hatte. Ein sehr ebenmäßiges und doch männliches Gesicht. Um seine Mundwinkel hatte ein sympathisches Lächeln mit einem kaum merkbaren skeptischen Zug gelegen, das Zoé jetzt dort auf der anderen Straßenseite aufblitzen sah, als er irgendetwas zu dem Polizisten sagte und die Wagentür eines roten Sportwagens öffnete. Sie war sich sicher: Keine zehn Meter von ihr entfernt stand Benjamin Parker, Annes ewiger Geliebter aus Heidelberg.
Er war viel größer, als sie gedacht hatte, und für einen Gelehrten schien er ziemlich athletisch zu sein. Ratlos trat sie von einem Fuß auf den anderen.
Sie hatte so sehr auf die Gelegenheit gehofft, Annes Freund anzusprechen, doch nun hatte der Polizist alles zunichtegemacht. Auf keinen Fall durfte sie sich zu erkennen geben, solange der Beamte ihn in Beschlag nahm.
Auf ein kleines Wunder hoffend, beobachtete sie die Männer durch die verschneiten Zweige. Sie kniff die Augen zusammen und stellte fest, dass Parker in natura eine verblüffende Ähnlichkeit mit Gregory Peck hatte – genau wie Anne es ihr schon damals gesagt hatte. Aber ihre Freundin war von ihm ohnehin vollkommen begeistert gewesen.
„Der einzige Mann, der mich wirklich liebt. Und der Beste von allen. Zoé, glaub mir!“, hatte sie – schon etwas beschwipst von den zwei Schlucken Rotwein, die sie aus Zoés Glas getrunken hatte – behauptet.
„Warum klappt es denn dann nicht mit euch beiden?“, wollte Zoé wissen. „Hält er dir zu viele Vorlesungen?“ Sie warf Anne ein verschmitztes Lächeln zu.
„An ihm liegt es nicht.“ Anne verzog ihren Mund und schaute sie mit leicht gesenktem Kopf an. „Ich bin das Problem. Ich verliebe mich einfach zu gerne!“ Theatralisch hielt sie die Hände in die Höhe und schaute Zoé mit der unschuldigen Miene eines Kindes an. „Egal, wie glücklich ich mit dem einen bin, nach einiger Zeit wird es mir immer ein bisschen langweilig.“ Sie seufzte. „Und wenn ich dann einen anderen treffe, der mir gefällt, ist es schon wieder geschehen“, sagte sie dann mit gespielt resignierendem Tonfall, während sie die goldene Haarnadel aus dem wilden Schopf ihrer langen roten Haare zog und den dichten Locken kopfschüttelnd ihre Freiheit zurückgab. Sie lachte hell und fröhlich auf. „Lieben tue ich aber nur Ben.“
„Tja, da kann man nichts machen. Ein armer Kerl“, stellte Zoé fest. „Genau wie deine anderen Männer.“ Die beiden Frauen schmiegten sich kichernd aneinander.
Doch dann wurden Annes Gesichtszüge unvermittelt ernst. „Falls etwas schiefgehen sollte …“ Zoé spürte ihre Hand auf dem Unterarm, „… dann triff dich mit Benjamin Parker. Du kannst ihm bedenkenlos vertrauen. Er wird dir helfen.“
Zoé bekam es ein wenig mit der Angst zu tun, denn Annes Blick wirkte auf einmal starr und bedrohlich.
„Zoé“, fuhr sie fort. „Ich habe noch mal über alles gründlich nachgedacht. Es darf ab jetzt keine, verstehst du, absolut keine offizielle Verbindung mehr zwischen uns beiden geben. Wir kennen uns nicht.“
Zoé wusste nicht recht, was sie darauf sagen sollte, und nickte. Jetzt verstand sie, warum Anne ihr heute Morgen eine Nachricht per Kanzleibote hatte zukommen lassen und sie dann im Gewühl des Feierabendverkehrs mit einem Taxi vor der Gedächtniskirche aufgelesen hatte.
„Was für ein Glück, dass wir uns bisher noch nicht per Handy angerufen haben.“ Anne schien darüber wirklich erleichtert zu sein. „Sämtliche Spuren deines Besuchs in der Kanzlei habe ich schon getilgt. Du bist nie bei uns gewesen.“ Sie lächelte freudlos. „Aber auch für dich gilt: keine Adressen, Telefonnummern, Notizen, die Aufschluss über uns
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