Der Königsberg-Plan: Thriller (German Edition)
dem Gendarmenmarkt gelandet. Vor ihr auf dem Tisch stand eine unberührte Tasse Tee mit frischer Minze. Sie beobachtete, wie sich das heiße Wasser allmählich grün verfärbte, ohne etwas zu denken oder zu fühlen. Plötzlich begann ihr Kinn zu zittern, und sie musste weinen. Sie vergrub ihr Gesicht in den Handflächen und presste die Lippen zusammen. Stumm saß sie so auf ihrem Stuhl und spürte die Tränen durch die Finger rinnen.
Nach einer Weile, in der sie jedes Zeitgefühl verloren hatte, hob sie den Kopf und gab dem Kellner einen Wink. Sie zog einen Geldschein aus ihrer Börse und legte ihn neben das Glas mit dem nunmehr tiefgrünen Tee. Ihr Blick war tränenverschleiert, aber ihr Geist wieder klar. Wenn sie etwas über den Tod von Anne Kreifelts herausbekommen wollte, führte sie ihr Weg unausweichlich zur Berliner Rechtsmedizin.
Und deshalb war jetzt die Zeit gekommen, ein paar Dinge zu besorgen.
Kapitel 7
Eine schneeige Windbö fegte durch den Park und feuerte tausend eisige Nadelstiche auf Zoés verfrorenes Gesicht. Die zugige Kälte hatte die Angst mit im Gepäck, die erneut in ihr hochkroch und ihr den Magen zusammenzog. Immerhin bin ich noch am Leben, dachte sie.
Verkrampft hielt sie den blauen USB-Stick in der Hand, der hoffentlich ein wenig Licht in die Angelegenheit bringen würde. Sie versuchte sich vorzustellen, dass alles nur ein Missverständnis war. Dass sie einfach zur Polizei gehen könnte und sich alles aufklären würde. Aber es gelang ihr nicht, das zu glauben.
Annes Tod war Warnung genug. Und sie wusste, dass es keine weitere geben würde. Genau wie die Kälte war jetzt auch die Furcht in jede Faser ihres Körpers eingedrungen.
Hau ab, Zoé!
Doch tief in ihrem Herzen spürte sie, dass sie Berlin jetzt nicht verlassen konnte. Jetzt zu kneifen, würde sie ein Leben lang bereuen.
Ihre Ausbildung zur Kunstjournalistin und ihre Arbeit als Kunsthändlerin in Berlin wären nichts weiter als der Zeitvertreib einer gelangweilten jungen Frau gewesen, die das wahre Leben nicht kannte. Nichts weiter als der fadenscheinige Vorwand eines verwöhnten Mädchens, um eine angenehme Zeit in Berlin zu verbringen, bevor sie in den Schoß ihrer vermögenden Familie zurückkehren würde.
Nichts weiter als ein kleines Spielchen. Eine Lüge.
Dann hätte sie auch gleich nach Madrid zurückkehren können, um ihre todlangweilige Stelle in der Presseabteilung des Museo Nacional del Prado wieder aufzunehmen, genauso wie die sinnlosen Streitgespräche mit ihrer Mutter Thérèse.
Sie stöhnte innerlich beim Gedanken an ihre Mutter, die sich nie wirklich um sie gekümmert und sie nach dem frühen Tod ihres Vaters lediglich von einem Kindermädchen zum nächsten verfrachtet hatte. Erst nachdem Zoé ihr Studium der Kunstgeschichte an der Sorbonne in Paris abgeschlossen hatte, war Therésès Interesse plötzlich erwacht, wenn auch aus leicht zu durchschauenden Gründen. Denn seitdem verfolgte ihre Mutter hartnäckig das Ziel, sie endlich zu verheiraten – oder meistbietend zu versteigern, wie Zoé es nannte. Wenn sie jetzt nach Madrid zurückkehrte, würde ihre Mutter triumphieren und alles daransetzen, eine eheliche Verbindung mit irgendeinem entfernten Mitglied der spanischen Königsfamilie zu erreichen.
Sie atmete lange aus und musste unwillkürlich an die SMS denken, die ihre Mutter ihr am Tag ihrer Abschlussprüfung gesandt hatte. Sofort wallte der Ärger wieder in ihr auf, als sie sich die Zeilen in Erinnerung rief:
Du hast bestimmt bestanden.
Glückwunsch. Komm nach Madrid.
Ich muss Dir jemand vorstellen …
un beso, Thérèse
Zoé hatte die Kurzmitteilung unmittelbar nach dem Lesen gelöscht und war mit ihrer Großmutter geradewegs in ein edles Restaurant spaziert, wo sie sich ein opulentes Mahl hatten servieren lassen. Die alte Dame hatte sich am Morgen desselben Tages in der Bretagne in einen Direktzug nach Paris gesetzt und war zu ihrer Enkelin aufgebrochen – eine sorgfältig verpackte und gekühlte Flasche Champagner im Koffer. Zwar war der Champagner warm, als die Flasche am Spätnachmittag geöffnet wurde, doch Zoé würde den überraschenden Besuch ihrer Oma und die gemeinsamen Freudentränen nie im Leben vergessen.
Genauso wenig wie den verregneten Tag im Februar, als Thérèse der Großmutter die kleine Zoé im Alter von vier Jahren zur Pflege übergeben hatte. Es war ein kurzer Abschied gewesen, denn ihre Mutter wollte weiter nach Cannes und hatte wie immer nur wenig Zeit. Seit diesem
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