Der Königsschlüssel - Roman
ein paar Schritte einer Seitenwand entgegen. Dort versuchten sie sich hinter den Stoffbahnen zu verstecken, um so den Raum zu durchqueren. Ihre verzerrten Spiegelbilder folgten ihnen auf den Platten des Fußbodens, und in den grünen Steinplatten der Wände schimmerten ihre undeutlichen Schatten.
Als sie fast die Hälfte des Saals durchquert hatten, hoben sich die Stoffbahnen plötzlich, wehten einfach nach oben und blieben wie sorgsam aufgerollt an der Decke hängen. Doch keine Mechanik war zu hören, nicht einmal eine Kurbel. Sofort sprangen Cephei und Vela an die Wand und drückten sich mit dem Rücken dagegen, die Hände an den kühlen Stein gepresst.
Ihnen gegenüber sahen sie einen Schreibtisch, der ihnen vorher nicht aufgefallen war. Er war wohl aus demselben grünen Stein gehauen, aus dem auch die Wände bestanden, und stellte einen Löwen dar, auf dessen Rücken eine Platte balancierte. Die Krallen seiner Pfoten schienen in den Fußboden zu wachsen, als wäre er einst lebendig gewesen und hätte sich hier festgekrallt.
Hinter dem Schreibtisch saß eine Frau, die in Papieren wühlte.
Sie war schon älter, aber ihr Haar war noch nicht weiß, sondern besaß einen rötlichen Farbton, der einen starken Kontrast zum Grün in ihrem Rücken bildete. Es war kurz geschnitten, und an den Ohrläppchen baumelten goldene Muscheln.
»Ihr werdet mir sicher sagen können, warum ihr hier durch meine Burg schleicht«, sagte sie mit rauer Stimme, die klang, als rede sie nicht oft, und sofort schlug Cepheis Herz so schnell wie noch nie. Sein Mund wurde ganz trocken. Er brachte kein Wort heraus, ebenso wenig wie Vela.
Die Frau sah auf und hielt in ihrer Tätigkeit inne. Funkelnd grüne Augen musterten Cephei, und seine Kopfhaut begann zu kribbeln, die Härchen auf seinen Unterarmen richteten sich auf, obwohl ihm nicht kalt war, sondern heiß, als hätte ihn jemand in den Lavastrom unter der Burg getaucht.
»Nun? Hat es euch die Sprache verschlagen?« Sie schnippte mit den Fingern, und wie unter Zwang bewegten sich Cepheis Füße vorwärts, er hatte keine Macht mehr über sie. Er wollte sich wehren, aber vergebens, Schritt für Schritt bewegten sie sich auf den Schreibtisch zu. Er schaffte es gerade so, nicht zu rennen, Stehenbleiben war unmöglich. Er hatte keine Macht mehr über sich, genau wie bei Serpem.
Neben ihm erging es Vela genauso.
Eine knappe Armlänge vor dem Tisch kamen sie wieder zum Stehen und konnten die Frau nun deutlich erkennen. Das Funkeln ihrer Augen war so intensiv und doch kalt wie das eines Edelsteins, dass sich Cephei schon beobachtet fühlte, wenn er nur auf die Wand sah und nicht einmal in ihr Gesicht. Alles Grün im Raum schien ihn zu betrachten, egal, wohin er sah, er konnte ihrem Blick nicht ausweichen. Und dieser Blick ging schrecklich tief.
»Ich mag es nicht besonders, wenn ich mich ständig und ständig wiederholen muss, das ermüdet mich. Wenn ihr also so freundlich wärt …« Sie hob eine Hand und wandte sich Vela zu.
»Wir suchen den Königsschlüssel«, hörte Cephei sie antworten. Ihre Stimme klang dünn und zitterte leicht, doch sie stockte nicht.
»So? Und wer seid ihr überhaupt?« »Ich bin Vela, die Tochter des Königsmechanikers. Und das dort«, Vela zeigte auf ihn, »ist Cephei. Er begleitet mich.«
»Und das sollte mir jetzt etwas sagen?« Die Frau runzelte die Stirn, als hätte sie etwas Wichtiges vergessen. Fast wirkte sie, als wäre es ihr unangenehm, aber dann dachte Cephei, sie schien eher verärgert zu sein - wie man über diebische Zuckerkäfer in der Speisekammer verärgert war -, und er hoffte sehr, sie würde sie nicht einfach wie Käfer zertreten.
»Bist du die Herrin der Südlichen Feste?«, fragte Vela.
Als wäre das nicht längst klar , dachte Cephei, der seine Stimme noch immer nicht wiedergefunden hatte und auch die Beine nicht bewegen konnte. Wenigstens verließ die Hitze langsam seinen Körper.
Die Frau lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Tja, wir sind hier am Südlichen Ende, das ist meine Burg, also würde ich behaupten, ja, ich bin die Herrin der Südlichen Feste.«
Na bitte.
Cephei musste schlucken. Besonders geschickt hatten sie sich wahrlich nicht angestellt. Sie waren der Hexe einfach in die Arme gelaufen. Diese hatte sich nicht einmal von ihrem Schreibtisch entfernen müssen, um sie in die Hände zu bekommen.
Hatte er denn gar nichts bei Urs gelernt? Vielleicht taugte er
ja tatsächlich nicht zum Ritter, wenn
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