Der Königsschlüssel - Roman
er sich nicht mal die einfachsten Regeln merken konnte.
Niemals deine Deckung fallen lassen!
Aber so viel Deckung hatten sie ja ohnehin nicht gehabt. Würde die Hexe sie jetzt an die Klippengeier verfüttern? Er wollte nicht verfüttert werden!
Er musste doch zu Hause noch von seinem Abenteuer erzählen, und Dorado musste ihm ein Bier ausschenken, weil Cephei es tatsächlich gewagt hatte, durch die Ruinenstadt zu laufen. Cephei mochte zwar das Bier nicht, aber darum ging es ja gar nicht. Wie sollte der übellaunige Wirt ihm jemals sagen, dass er sich geirrt hatte und Cephei kein Tunichtgut war, wenn die Hexe ihn jetzt zu Geierfutter machte?
Nein, das durfte nicht passieren. Irgendwie musste es ihnen gelingen, hier heil herauszukommen. Mit oder ohne Schlüssel, das war jetzt fast schon egal.
DER KÖNIGSSCHLÜSSEL
Das Hexenmal juckte auf einmal fürchterlich, es wurde warm, und Vela konnte nicht unterdrücken, sich durch das Hemd zu kratzen, als die Hexe für einen kurzen Moment den Blick von ihr abwandte und Cephei anschaute.
»Mein Name ist Aniba«, sagte sie. »Es dauert zu lange, wenn alle immer den vollen Titel nennen.«
»Welche alle denn, hier ist doch niemand?«, wollte Cephei wissen und schien selbst verblüfft, dass er etwas gesagt hatte.
»Sei doch nicht albern, Junge. Wie soll ich denn eine so große Burg allein bewirtschaften?«
»Aber man sieht doch niemanden.«
»Also wirklich. Nur weil du sie nicht siehst, heißt es doch nicht, dass sie nicht da sind, oder?« Aniba schien beleidigt. »Hast du vielleicht gedacht, ich öffne die Tore selbst, striegle die Pferde und versorge die Schweine? Du scheinst kein sehr kluger Junge zu sein, was?« Sie schüttelte den Kopf, und Cephei lief rot an.
Vela fing seinen wütenden Blick auf und versuchte ihm aufmunternd zuzunicken, schließlich hatten sie nicht einmal Pferde und Schweine gesehen. Aber vielleicht war es auch besser, sie sahen niemanden. Wer wusste schon, in welcher Gesellschaft diese Aniba lebte? Unsichtbare Geister oder Ungeheuer, die nur nachts herauskamen, ganz abgesehen von den Klippengeiern. Mit Grauen dachte sie daran, was Serpem während der Nacht getan hatte. Vielleicht wartete auch diese Hexe auf die Dunkelheit, um entsetzliche Dinge zu tun.
In diesem Moment fiel ihr etwas ein. Sie versuchte sich zu bewegen
und stellte fest,dass der Bann,der auf ihr gelegen hatte,aufgehoben war. Zumindest im Moment. Eilig setzte sie den Rucksack auf die Erde und holte die Holzkiste heraus. Sie öffnete sie, nahm den roten Raumgeist heraus und befreite ihn von der Leine.
»Hab Dank«, konnte sie gerade noch sagen, als er auch schon davonsprang, ohne sich noch einmal nach ihr umzusehen. Mit ausgebreiteten Armen rannte er in Schlangenlinien durch den Raum, drehte sich einmal um sich selbst und raste dann zur Tür hinaus.
Es erschien ihr nur richtig, dem Geist endlich die Freiheit zu schenken, er hatte seine Aufgabe schließlich erfüllt. Auch wenn Cephei ihr einen Blick zuwarf, der sagte: Hast du nichts Besseres zu tun?
»Mhm«, machte die Hexe, während sie dem Raumgeist nachsah. Dann musterte sie Vela mit viel größerer Neugier, und es kribbelte in Velas Bauch. Das Hexenmal juckte, und mühsam unterdrückte Vela den Drang, sich vor den Augen der Hexe zu kratzen.
»Was wollt ihr mit dem Schlüssel?«, fragte Aniba, und ein Lächeln, das Vela noch mehr beunruhigte als der finstere Blick, umspielte plötzlich ihre Lippen.
»Wir müssen den Mechanischen König aufziehen, damit er weiter über das Land herrschen kann und meinen Vater begnadigt, den man für den Verlust des Schlüssels verantwortlich macht.«
Vela wartete. Immerhin war es einer von Anibas Klippengeiern gewesen, der den Schlüssel gestohlen hatte. Das hatte zumindest Serpem gesagt.
Was, wenn Aniba den Schlüssel gar nicht für sich wollte?, dachte Vela plötzlich. Was, wenn sie ihn gestohlen hatte, damit
der König nicht mehr aufgezogen wurde? Immerhin war es doch der Mechanische König, der das Land von Hexen befreien wollte …
Und Vela war auch noch so dumm gewesen, ihr zu verraten, dass sie ihn wieder aufziehen wollten! Dieses Mal war sie es, die sich einer Hexe gegenüber dumm benahm. Sie hätte heulen können vor Wut über sich selbst - und dieses vermaledeite Hexenmal juckte und juckte und juckte! Sie spürte das Blut dort richtig pochen.
Aniba schien dagegen in aller Ruhe zu überlegen. »Das ist ja bedauerlich«, antwortete sie nach einer Weile, »aber ich kann euch nicht
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